Freitag, 30. August 2019

Hamburg 2019 - Meine Hamburgensien Teil 3: Das Schaufenster


Was macht für mich Hamburg schön und unverwechselbar? Natürlich das Wasser. Deshalb liebe ich auch Hafenstädte wie Lissabon oder Thessaloniki. Beim Anflug auf Hamburg sieht man von oben die drei 'Grazien' der Stadt: Elbe - Binnen- und Außenalster. Meine Sightseeingtour in die City beginnt, wie seit meinen Jugendtagen, mit einer Fahrt der U1 vom Bahnhof Hallerstrasse zum Stephansplatz. Von hier aus folge ich meinen Erinnerungen die Colonnaden entlang bis zur Binnenalster. An einer Straßenecke befand sich in den 70ern die Theaterkasse Schumacher - heute wird hier Pizza verkauft. Damals arbeitete dort meine Schwester bei der Dame, der die Vorverkaufsstelle für Konzert- und Theaterkarten gehörte. Daher bekam ich einen Botenjob, mit dem ich nach der Schule mein Taschengeld verdienen konnte. Dafür fuhr ich Nachmittags kreuz und quer mit Bahn und Bus durch die Stadt zu den Theatern und Konzertveranstaltern. In der Tasche trug ich oft einige Tausend D-Mark und Restkarten, die ich vor Ort dann abrechnen musste. Im Gegenzug holte ich dann Eintrittskarten für die nächste Woche oder neue Konzerte ab. Die Theaterkasse Schumacher wurde gerne von den etwas 'feineren Leuten' Hamburgs frequentiert, die dabei oft ihre Bildungslücken präsentierten. Eine Dame etwa wollte Karten für Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" kaufen und fragte am Tresen nach "Mutter Courrèges" eine andere gar wollte Tickets für "Mutter Clochard" erwerben - da musste man schon die Contenance wahren. 

Colonnaden - hinten das Rathaus
Zur Erklärung für die Digitalen Nerds, in der Vor-Computer-Zeit kaufte man seine Konzert- und Theaterkarten an Vorverkaufsstellen, die kassierten dafür 10% des Kartenpreises. Nach der Schule fuhr ich mit der Bahn in die Colonnaden, bekam das eingenommene Geld für die verkauften Karten und machte mich auf den Weg, angekommen bekam ich im Gegenzug neue Karten für den Verkauf. Für mich war das der Job an sich, denn so kam ich an die besten Karten für Rock-Konzerte. So saß ich Anfang der 70er in der ersten Reihe Mitte der altehrwürdigen Musikhalle direkt vor der Bühne und hörte Jethro Tull live. In meinem Jugendzimmer hingen die ausgedienten Plakate aus der Theaterkasse von den Bands, die ich gesehen hatte: von Uriah Heep, Steamhammer bis zu Alan Stivell - damals war Hamburg wirklich ein internationaler Treffpunkt der Rockmusiker.

Heute ist all das Vergangenheit, das schräg gegenüber gelegene renommierteste Musikgeschäft der Stadt 'Steinway' ist verschwunden. Im Parterre des mehrstöckigen Ladens konnte man die mächtigen Flügel bewundern, darüber gab es alle möglichen Musikinstrumente - die Hamburger Oper war ja nur ein paar Schritte entfernt. Im ersten Stock von Steinway konnte man in Kabinen Schallplatten hören, bevor man sie kaufte. In einer Nebenstrasse befand sich das Urania-Kino - hier sah unser ganze Familie Mitte der 60er den ersten Beatles-Film: "Yeah Yeah Yeah" (https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/08/teil-www.html). Als damals  dann der erste sogenannte 'Aufklärungsfilm' dort lief: "Helga - Das Wunder des Lebens" protestierten rechte Sittenwächter der Aktion "Saubere Leinwand" vor dem Kino mit Plakaten - das waren die geistigen Vorgänger der heutigen AfD. Heute erinnert nichts mehr an das Kino von einst.

Collonaden 
Am schönsten war und ist die Passage der Colonnaden mit ihren in südländischer Leichtligkeit geschwungenen Säulen, die bis zum Jungfernstieg hinunter gehen. Einst war hier an der Ecke das große moderne Büro der US-Fluggesellschaft Pan American - abgekürzt PanAm. Wir gingen als Jugendliche gerne in das moderne Reisebüro - konnte man hier doch kostenlos Stadtplänen aller großen  US-Städte mitnehmen. Damals träumte jeder von den USA - leider nichts daraus geworden - und heute eher ein Albtraum. Um die Ecke befand sich das berühmte "Streits"-Kino. Hier fanden in den 60igern noch Premieren von Hollywood-Filmen statt, das gab Hamburg ab und zu ein internationales flair. Heute erinnert nur noch der Name am Eingang des Geschäftshauses an die große Zeit. 

Anstatt auf den Jungfernstieg, auf dem nach der Befreiung von Napoleons Truppen russische Kosaken paradierten, zieht es mich zum Gänsemarkt. Seit 1881 sitzt hier Lessing auf seinem Stuhl und betrachtet die Entwicklung dieses Platzes und der Stadt. Hinter ihm der Klinkerbau der 
Finanzbehörde der Hansestadt. In letzter Zeit hatte Lessing allerdings unerwünschte Besucher, rechte Demonstranten versammelten sich hier. In meiner Kindheit war der Platz nicht verkehrsberuhigt, da warteten am Gänsemarkt Taxen auf ihre Kundschaft. Heute wirkt es sehr 'geleckt' und aufgeräumt hier. Ich nehme den Weg in die Gerhofstrasse, denn hier befand sich einst das 'Bücherkabinett' - ein Antiquariat in dem ich oft stöberte. Heute ist es verschwunden und noble Geschäfte laden die gehobenen
Stände zum shoppen. Dabei lohnt sich ein Blick in das alte Treppenhaus, denn dies hat man im Stil der alten Handelskontore liebevoll restauriert. Aber die ganzer Gegend wirkt irgendwie glatt uns künstlich belebt - die Geschäfte sind sowieso außerhalb meiner Gehaltsklasse. 

Die Poststrasse entlang laufe ich Richtung Rathausmarkt, ein Blick in die Großen Bleichen erinnert mich daran, dass hier einst das Ohnsorg-Theater war und nicht weit entfernt hatte "Fahnen-Fleck" sein Geschäft, da konnte man Flaggen aus allen Ländern bekommen - heute gibt es hier nur noch Ladenpassagen,die Luxuswaren anbieten. 

Rathaus Foyer
Zwar wirkt der Rathausmarkt mit dem wilhelminischen Rathaus, 1886 im Neo-Renaissance-Stil erbaut beeindruckend, aber auch irgendwie leblos. Lange mag man hier nicht stehen, nur Touristen sammeln sich um ihre Fremdenführer. Sie halten Schirme mit dem Firmenemblem hoch, damit die Gäste nicht von der Fahne gehen - ach ja, an manchen hängt ein Wimpel, er zeigt die Sprache des Guides an. Ich mache einen kurzen Abstecher in die Empfangshalle aber hier habe ich mich noch nie so richtig wohlgefühlt, Die 'Hamburger Pfeffersäcke' - die Patrizier und Senatoren, die hunderte Jahre lang die Herrschaft über die Stadt ausgeübt haben, prägen das Rathaus als Bastion ihrer Macht und Herrschaft. Bürger und vor allem die einfachen Leute waren und sind für sie Untertanen.


Ich verließ jedenfalls schnell das dunkle Gebäude und begab mich zu dem Denkmal, das am Rand des Rathausmarktes an den Dichter Heinrich Heine erinnert. Er lebte zwar nur kurze Zeit in der Stadt bei seinem Onkel Salomon Heine, aber im 'Wintermärchen' hat er auf seine typische Art der Stadt sarkastisch die Leviten gelesen. Der jahrelange Streit und Kampf um sein Denkmal ist kein Ruhmesblatt für Hamburg. Lange wehrte man sich im Rathaus gegen eine Ehrung Heines auf dem zentralen Platz der Stadt. Manche wollte in Hamburg nicht gerne daran erinnert werden, dass die Stadt in der Nazizeit ein Denkmal zerstören ließ, ein weiteres wurde damals davor 
gerettet und steht heute im französischen Toulon.  https://www.gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/gedenkort/heinrich-heine-denkmal/

Die meisten Touristen an diesem Tag betrachteten den nachdenklichen Dichter auf seinem Sockel kaum, sie wollten lieber das protzige Rathaus fotografieren. Neben dem Denkmal schlief ein Obdachloser anscheinend seinen Rausch aus - wahrscheinlich wäre dem Dichter diese Nachbarschaft ganz recht gewesen. Am Sockel findet sich Heines persönlicher Epilog: "Ich habe nie großen Wert gelegt auf Dichter-Ruhm und ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig, Aber ein Schwert sollt ihr mir auf den Sarg legen, denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskampf der Menschheit."



Weniger Probleme hatte und hat die Stadt mit falscher Heroisierung der Kriegstoten - so befindet sich gegenüber den Alsterarkaden ein meterhohes Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Hamburger Soldaten - der Text ist heute noch so verlogen, wie bei seiner Errichtung - denn sie starben nicht für 'uns', sondern für die Großmachtwünsche des wilhelminischen Kaiserreichs. Aber auf das Thema, wie Hamburg mit seiner Geschichte umgeht, werde ich in einem späteren Blogtext eingehen. 

Bevor ich mich in Richtung Hafen weiterbewegte, mache ich noch einen Abstecher zur Binnenalster. Einst fuhren vom Jungfernstieg aus Barkassen als Nahverkehrs-Fähren verschiedene Haltestellen an der Außenalster und in den Fleeten (Kanälen) an. Dann wurde der Linienverkehr  mangels Rentabilität eingestellt - heute bieten noch einige der alten Schiffe Alsterrundfahrten an. Die Möven an der Alster lassen sich glücklicherweise vom Touristenrummel nicht beeindrucken. 

Man mag sich gar nicht vorstellen, was für wahnwitzige Ideen man im SPD-Senat der 60/70er Jahre für den Stadtteil St.Georg hatte. Hinter dem Hauptbahnhof gelgen, sollte er einer futuristischen
...ob sie wohl Emma heißt?
Hochhausskyline weichen, den Isebeekkanal wollte man für eine Schnellstraße zuschütten - was für ein Glück, dass sich das nicht verwirklicht hat. Was aus der alten Speicherstadt des Freihafens mit dem Neubaugebiet der Hafencity und der Elbphilharmonie geworden ist, dass wollte ich mir jetzt ansehen. Aber zuvor machte ich noch einen Abstecher zu einem alten Fischrestaurant, das ich schon als Kind kannte - "Daniel Wischer". Hierher verirren sich Touristen nur selten, dabei gibt es hier traditionelle norddeutsche Fischgerichte. Im leicht angejahrten Gästeraum, voll verwelktem Charme der 70er Jahre gab ich mich einer Büsumer Scholle mit Krabben hin um dann gestärkt den Bus Richtung Hafencity zu besteigen.  





Unten Büsumer Scholle (Krabben) rechts Finkenwerder Kutterscholle (Speck)


1 Kommentar:

  1. Jan Reetze: Steinway hatte nicht nur alle möglichen Instrumente, die hatten auch so ziemlich alles, was es an Notenmaterial und Musikbüchern gab. Die Plattenabteilung hatte einen unglaublichen Bestand an Jazzplatten, und der Verkäufer kannte die alle. Und meinen ersten Synthesizer habe ich bei Steinway gekauft.

    Das Urania-Kino gehörte zusammen mit dem Esplanade und dem Dammtor-Kino, als es noch nicht das Metropolis war. Meine Großtante Else saß immer in einem der drei Kinos an der Kasse. Unvergessen ihre Art, englische und amerikanische Namen oder Filmtitel konsequent deutsch auszusprechen. Außerdem, wenn jemand sie nach ihrem Beruf fragte, pflegte sie immer zu sagen, sie sei in der Filmbranche tätig.

    Und ich muss wiedersprechen: Die USA sind auch heute kein Albtraum. Ihr Präsident mag einer sein, aber er ist nicht die USA. Wer das glaubt, kennt die Denkweise der Amerikaner nicht.

    Dass das Streits-Kino weg ist, wusste ich gar nicht. Kann es sein, dass wir dort "Rendezvous unter dem Nierentisch" gesehen haben?

    Und immer, wenn ich Möwen sehe, muss ich an irgendeine der Kneipen rund um die Uni denken, wo ich dermaleinst mit einer Freundin bei einer Tasse Kaffee saß und aus dem Radio oder sonstwoher Hans Hartz' "Die weißen Tauben sind müde" tönte -- woraufhin sie mich ansah und fragte: "Was singt der da bitte? Die weißen Tauben sind Möwen?"

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