Der Freihafen war für mich schon als Schüler ein besonderer Teil der Stadt. Oft wurden wir beim "Wandertag" in die großen Lagergebäude geführt. Ich erinnere mich an die massigen Klinkerbauten und die flachen Frachtkähne - Schuten - die in den Fleeten daneben zum Be- und Entladen festgemacht hatten. Von dort wurden die Waren mittels der Seilwinden, die an den Vordächern der Lagerhäuser hingen, in die oberen Stockwerke verbracht. In der Speicherstadt stehen heute noch die großen Lagerhäuser. Damals gab es ganze Häuserzeilen für bestimmte Händler. Dort stapelten sich tausende kostbarer Orient-Teppiche oder Säcke mit geröstetem Kaffee aus Südamerika - überall konnte man das riechen. Ähnlich war es mit den Lagerhäusern der Gewürzhändler - Hamburg war immerhin weltweit zweitgrößter Umschlagplatz. Sie erkannte man ebenfalls am intensiven Geruch schon vor dem Gebäude. Diese Besuche mit der Schule im Freihafen waren für mich der Beweis: Hamburg war "Das Tor zur Welt."
Mitte der 1970er Jahre habe ich während der Schulferien drei Wochen lang im Freihafen gearbeitet, bei einem Schiffsausrüster für Nahrungsmittel am Kannengießerort. Jeden Morgen lief ich über die kleine Fußgängerbrücke beim Katharinenkirchhof in den Freihafen. Überall war er damals von hohen Zäunen und Stacheldraht abgeschirmt, an den Straßenbrücken standen Zollbeamte, die die Fahrzeuge und auch Fußgänger kontrollierten, die das Gebiet verlassen wollten - so wollte man den Schmuggel unterbinden. Kass & Richers belieferte damals im Hafen liegende Frachtschiffe mit allem, was die Kombüse und der Smutje (Schiffsküche und Schiffskoch) anforderten. Im mehrstöckigen Hochhaus aus Backstein lagerten Nahrungsmittel aus aller Welt und so roch es hier überall intensiv. Der Job war nicht einfach, denn oft mussten wir Holzpaletten mit zentnerschweren Mehl- Zucker- und Salzsäcken transportfertig machen. Zur 'Belegschaft' gehörten damals zwei Katzen - wegen der Mäuse und Ratten.
Einstmals 'Kass & Richers' - Seilwinde mit Etagentüren |
Nachtrag: Eine der besten TV-Serien der 80er Jahre war: "Schwarz Rot Gold" im ARD-Programm, dabei ging es um die Arbeit von Zollfahndern im Freihafen. Dieter Meichsners Serie zeigte die Mechanismen der Wirtschaftskriminalität vor dem Euro.... https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz_Rot_Gold_(Fernsehserie)
Auf dem Weg zum Musentempel kam ich am Museumshafen vorbei, hier liegt die "Seute Deern". Das Schiff lief 1961 vom Stapel und verkehrte als Ausflugsdampfer nach Helgoland - als Schüler war ich auch einmal auf dem Schwesterschiff "Alte Liebe" Richtung Helgoland. Beide Schiffe befuhren diese Route, an Bord vor allem Schnäppchenjäger, die der zollfreie Einkauf von Zigaretten und Alkohol auf die Insel lockte. Die Schiffe legten auf Helgoland nicht an, das Privileg der Inselbewohner, mit Barkassen die Besucher an Land zu bringen, wurde nicht angetastet. "Ausbooten - Ausbeuten - Einbooten" lautete die Devise der Helgoländer. Bei der Rückkehr standen an den Landungsbrücken mehrere Krankenwagen, um die 'Schnapsleichen' auszuschiffen. Heute liegt die "Seute Deern", gemeinsam mit einem alten Schwimmkran und einem Bagger verloren wirkend im einstigen Sandtorhafen. Einst das erste Hafenbecken der Stadt für die Entladung von Frachtern am Kai, wirken die Schiffe hier deplaziert, umgeben von teuren Eigentumswohnungen.
Nun stehe ich vor dem hanseatischen Weltwunder, der Elbphilharmonie - genannt 'Elphie'. Einst mit rund 80 Millionen Euro geplant, kostet der Musentempel jetzt die Stadt das Zehnfache. Kommt man per Schiff die Elbe flussaufwärts, thront sie deutlich sichtbar hinter den Landungsbrücken, am Fleeteingang zum einstigen Freihafen. Ein mächtiger Bau aus rotem Stein mit einem futuristisch wirkenden Glasaufsatz. Aus der Ferne wahrlich imposant, als ich dann aber davor stehe, wirkt der Klotz auf mich beängstigend. Als Schüler jobbte ich mal in einem der NS-Flak-Hochbunker hinter dem St.Pauli-Stadion - ein unheimlicher Ort und irgendwie wirkte die Elbphilharmonie auf mich von außen ähnlich bedrückend, einschüchternd und außerdem architektonisch erschlagend. Die vielen Menschen vor dem massiven Gebäude sahen wie ein Haufen kleiner Ameisen aus. Aber da ja alle Welt von der Elphie schwärmt, reihte ich mich in die Besucherschlange ein, die über die lange Rolltreppe zur Aussichtsplattform hinauffuhr. Und wirklich, der Blick vom rund um das Gebäude laufenden Balkon auf Hafen und Hamburger City war schon beeindruckend. Den Konzertsaal konnte ich leider nicht sehen und so musste ich mich mit dem Panoramablick auf Stadt und Hafen begnügen.
Bald zog es mich vom Elphie-Balkon aber in Richtung Landungsbrücken - und das lag nicht nur am kalten Wind. Ich wollte eine meiner alten Lieben sehen die Cap San Diego. Am Kai der Landungsbrücken liegen heute ein ausgemustertes Feuerschiff - einst hatte es als
Cap San Diego immer noch fahrbereit |
Aber ich freute mich so über den leicht brackigen Geruch der Elbe, kaufte mir an den Landungsbrücken ein Matjesbrötchen und bestieg dann eine der Elbfähren Richtung Finkenwerder. Auch hier hat sich manches geändert, die alten HADAG-Dampfer, mit ihren an die plumpen Koggen erinnernde Form, suchte ich vergebens. Kurz vor dem Ablegen erkannte ich, dass ein am Anleger liegender Kasten mit Werbeinschrift die gesuchte Fähre war. Aber die Fahrt Elbabwärts mit der steifen Brise war eine Freude - wenn nicht neben mir ein paar Schwaben sich lautstark unterhalten hätten. Dabei war ich als Zwangs-Stuttgarter doch froh, dem für ein paar Tage entkommen zu sein. Egal, die Fahrt bis nach Övelgönne und dann rüber nach Finkenwerder ließ mich das vergessen.
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AntwortenLöschenDa fühle ich mich doch gleich wieder an die früheren Nachbarn meiner Großeltern erinnert: Es muss in den frühen 1960ern gewesen sein, ich ging noch nicht zur Schule, da fiel es deren Sohn Jürgen, der wohl so Mitte 20 war, ein, sich mit einem Barkassenunternehmen selbständig zu machen, und er setzte die Idee auch tatsächlich in die Tat um. Noch heute sehe ich meine Familie darüber den Kopf schütteln: Völlig wahnsinnig, der Junge, wie kann sich ein geistesgesunder Mensch selbständig machen wollen ... Ich erinnere, dass wir im darauffolgenden Sommer dann mit einer von Jürgens Barkassen -- er hatte zwei oder drei -- eine private Hafenrundfahrt machen konnten und in Hafengebiete geschippert sind, in die man mit einer offiziellen Hafenrundfahrt nie gekommen wäre. Ach ja, und irgendwann war Jürgen dann auch mal wieder bei seinen Eltern zu Besuch -- mit seinem neuen Mercedes. Keine Ahnung, was dann weiter aus Jürgen geworden ist, ich habe ihn später nie mehr wiedergesehen.
AntwortenLöschenWeiter so - freue mich über jede Ergänzung......
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