Dienstag, 10. September 2019

Hamburg 2019 - Meine Hamburgensien Teil 4: Freihafen - Kulissen - Elbe


Der Freihafen war für mich schon als Schüler ein besonderer Teil der Stadt. Oft wurden wir beim "Wandertag" in die großen Lagergebäude geführt. Ich erinnere mich an die massigen Klinkerbauten und die flachen Frachtkähne - Schuten - die in den Fleeten daneben zum Be- und Entladen festgemacht hatten. Von dort wurden die Waren mittels der Seilwinden, die an den Vordächern der Lagerhäuser hingen, in die oberen Stockwerke verbracht. In der Speicherstadt stehen heute noch die großen Lagerhäuser. Damals gab es ganze Häuserzeilen für bestimmte Händler. Dort stapelten sich tausende kostbarer Orient-Teppiche oder Säcke mit geröstetem Kaffee aus Südamerika - überall konnte man das riechen. Ähnlich war es mit den Lagerhäusern der Gewürzhändler - Hamburg war immerhin weltweit zweitgrößter Umschlagplatz. Sie  erkannte man ebenfalls am intensiven Geruch schon vor dem Gebäude. Diese Besuche mit der Schule im Freihafen waren für mich der Beweis: Hamburg war "Das Tor zur Welt."

Mitte der 1970er Jahre habe ich während der Schulferien drei Wochen lang im Freihafen gearbeitet, bei einem Schiffsausrüster für Nahrungsmittel am Kannengießerort. Jeden Morgen lief ich über die kleine Fußgängerbrücke beim Katharinenkirchhof in den Freihafen. Überall war er damals von hohen Zäunen und Stacheldraht abgeschirmt, an den Straßenbrücken standen Zollbeamte, die die Fahrzeuge und auch Fußgänger kontrollierten, die das Gebiet verlassen wollten - so wollte man den Schmuggel unterbinden. Kass & Richers  belieferte damals im Hafen liegende Frachtschiffe mit allem, was die Kombüse und der Smutje (Schiffsküche und Schiffskoch) anforderten. Im mehrstöckigen Hochhaus aus Backstein lagerten Nahrungsmittel aus aller Welt und so roch es hier überall intensiv. Der Job war nicht einfach, denn oft mussten wir Holzpaletten mit zentnerschweren Mehl- Zucker- und Salzsäcken transportfertig machen. Zur 'Belegschaft' gehörten damals zwei Katzen - wegen der Mäuse und Ratten. 

Einstmals 'Kass & Richers' - Seilwinde mit Etagentüren
Am Gefährlichsten war der Job an den offenen Lagertüren zum Fleet am Alten Wandrahm. Hier machten die Schuten fest, die den Nachschub brachten, dieser wurde über die im Dach angebrachte elektrische  Seilwinde in die Etagen befördert. Hier durften eigentlich nur erfahrene Kollegen arbeiten, aber einmal holte man mich dazu. Ich stand am Rand der obersten Etagentür - darunter ging es viele Meter hinunter ins Fleet. Mit einer Hand musste ich mich an einem Griff festhalten, mit der anderen musste man die Palette hineinziehen, die nach oben gezogen wurde. Da kam es auf das richtige Timing an, der Kollegen schärfte mir ein: "Wenn ich die Seilwinde mit der Palette runterlasse, dann ziehen wir sie rein, gelingt das nicht beim ersten mal, lass sofort los - sonst wirst Du ins Fleet geschleudert!" Am Feierabend war ich froh, dass ich nicht weiter dort arbeiten sollte. Einmal durfte ich mit einer Barkasse voller Lebensmittel zu einem Schiff im Hafen mitfahren, wir legten an der Schiffswand an und per Kran wurde die Ladung nach oben an Deck geholt. Während der Mittagspause erzählten die Kollegen manchmal von der "Schwarzen Gang" auf meine Frage erzählte man mir, das sei eine verdeckt ermittelnde Abteilung des Zolls, die in Zivil auf Schmugglerjagd gehe.

Nachtrag: Eine der besten TV-Serien der 80er Jahre war: "Schwarz Rot Gold" im ARD-Programm, dabei ging es um die Arbeit von Zollfahndern im Freihafen. Dieter Meichsners Serie zeigte die Mechanismen der Wirtschaftskriminalität vor dem Euro.... https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz_Rot_Gold_(Fernsehserie)

Heute ist das alles nur noch Geschichte und der Freihafen zur Touristenkulisse degeneriert. Im Jahr 1888 eröffnet, wurde der Status des Freihafens 2013 aufgehoben - für die alte Speicherstadt galt das bereits ab 2003. In der Folge wurde das Gebiet zur Bebauung mit Luxuswohnungen freigegeben. Man wollte eine elbnahe Ansiedlung ähnlich der Londoner Docklands erschaffen, dazu gehörte auch die am Ende des Sandtorhafens auf einem alten Speicherblock errichtete Elbphilharmonie. Die schönen alten Häuser der Speicherstadt prägen das Panorama, kommt man aus der City, zwischen Zollkanal und Baumwall. Neben einigen Firmen, die Orientteppiche anbieten, finden sich heute dort Angebote für Touristen und im Sandtorhafen einige alte Schiffe. 



Auf dem Weg zum Musentempel kam ich am Museumshafen vorbei, hier liegt die "Seute Deern". Das Schiff lief 1961 vom Stapel und verkehrte als Ausflugsdampfer nach Helgoland - als Schüler war ich auch einmal auf dem Schwesterschiff "Alte Liebe" Richtung Helgoland. Beide Schiffe befuhren diese Route, an Bord vor allem Schnäppchenjäger, die der zollfreie Einkauf von Zigaretten und Alkohol auf die Insel lockte. Die Schiffe legten auf Helgoland nicht an, das Privileg der Inselbewohner, mit Barkassen die Besucher an Land zu bringen, wurde nicht angetastet. "Ausbooten - Ausbeuten - Einbooten" lautete die Devise der Helgoländer. Bei der Rückkehr standen an den Landungsbrücken mehrere Krankenwagen, um die 'Schnapsleichen' auszuschiffen. Heute liegt die "Seute Deern", gemeinsam mit einem alten Schwimmkran und einem Bagger verloren wirkend im einstigen Sandtorhafen. Einst das erste Hafenbecken der Stadt für die Entladung von Frachtern am Kai, wirken die Schiffe hier deplaziert, umgeben von teuren  Eigentumswohnungen. 


Nun stehe ich vor dem hanseatischen Weltwunder, der Elbphilharmonie - genannt 'Elphie'. Einst mit rund 80 Millionen Euro geplant, kostet der Musentempel jetzt die Stadt das Zehnfache. Kommt man per Schiff die Elbe flussaufwärts, thront sie deutlich sichtbar hinter den Landungsbrücken, am Fleeteingang zum einstigen Freihafen. Ein mächtiger Bau aus rotem Stein mit einem futuristisch wirkenden Glasaufsatz. Aus der Ferne wahrlich imposant, als ich dann aber davor stehe, wirkt der Klotz auf mich beängstigend. Als Schüler jobbte ich mal in einem der NS-Flak-Hochbunker hinter dem St.Pauli-Stadion - ein unheimlicher Ort und irgendwie wirkte die Elbphilharmonie auf mich von außen ähnlich bedrückend, einschüchternd und außerdem architektonisch erschlagend.  Die vielen Menschen vor dem massiven Gebäude sahen wie ein Haufen kleiner Ameisen aus. Aber da ja alle Welt von der Elphie schwärmt, reihte ich mich in die Besucherschlange ein, die über die lange Rolltreppe zur Aussichtsplattform hinauffuhr. Und wirklich, der Blick vom rund um das Gebäude laufenden Balkon auf Hafen und Hamburger City war schon beeindruckend. Den Konzertsaal konnte ich leider nicht sehen und so musste ich mich mit dem Panoramablick auf Stadt und Hafen begnügen. 



Bald zog es mich vom Elphie-Balkon aber in Richtung Landungsbrücken - und das lag nicht nur am kalten Wind. Ich wollte eine meiner alten Lieben sehen die Cap San Diego. Am Kai der Landungsbrücken liegen heute ein ausgemustertes Feuerschiff - einst hatte es als
Cap San Diego immer noch fahrbereit
schwimmender Leuchtturm seinen Dienst vor der Elbmündung versehen. Daneben das Dreimast-Segelschiff Rickmer Rickmers und dann die Cap San Diego. Dieser Stückgutfrachter wurde 1961 in Hamburg von der "Deutschen Werft" gebaut - auf der gegenüberliegenden Elbseite. Das Schiff repräsentiert mit seiner Eleganz die Schiffahrt meiner Kindheit. Heute alles vergangen und verschwunden. Die Einstigen Werften mit ihren großen Helligen auf der anderen Elbseite - abgerissen. Heute residiert hier ein Musical-Theater. Mein Vater fuhr mit uns in den 60igern Sonntags gerne elbabwärts zum Willkomhöft bei Schulau. Dort befand sich ein großes Ausflugslokal von dem mit einer großen Lautrsrpecheranlage jedes Schiff, dass in den Hafen fuhr oder ihn verlies, begrüßt oder verabschiedet wurde. Dazu bekamen wir Ausflügler Wissenswertes über das jeweilige Schiff, seine Herkunft und Ladung mitgeteilt. Heute sieht man auf der Elbe fast nur noch klobige Containerschiffe und schwimmende Einkaufszentren - die Kreuzfahrtschiffe.


Aber ich freute mich so über den leicht brackigen Geruch der Elbe, kaufte mir an den Landungsbrücken ein Matjesbrötchen und bestieg dann eine der Elbfähren Richtung Finkenwerder. Auch hier hat sich manches geändert, die alten HADAG-Dampfer, mit ihren an die plumpen Koggen erinnernde Form, suchte ich vergebens. Kurz vor dem Ablegen erkannte ich, dass ein am Anleger liegender Kasten mit Werbeinschrift die gesuchte Fähre war. Aber die Fahrt Elbabwärts mit der steifen Brise war eine Freude - wenn nicht neben mir ein paar Schwaben sich lautstark unterhalten hätten. Dabei war ich als  Zwangs-Stuttgarter doch froh, dem für ein paar Tage entkommen zu sein. Egal, die Fahrt bis nach Övelgönne  und dann rüber nach Finkenwerder ließ mich das vergessen.    


3 Kommentare:

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  2. Da fühle ich mich doch gleich wieder an die früheren Nachbarn meiner Großeltern erinnert: Es muss in den frühen 1960ern gewesen sein, ich ging noch nicht zur Schule, da fiel es deren Sohn Jürgen, der wohl so Mitte 20 war, ein, sich mit einem Barkassenunternehmen selbständig zu machen, und er setzte die Idee auch tatsächlich in die Tat um. Noch heute sehe ich meine Familie darüber den Kopf schütteln: Völlig wahnsinnig, der Junge, wie kann sich ein geistesgesunder Mensch selbständig machen wollen ... Ich erinnere, dass wir im darauffolgenden Sommer dann mit einer von Jürgens Barkassen -- er hatte zwei oder drei -- eine private Hafenrundfahrt machen konnten und in Hafengebiete geschippert sind, in die man mit einer offiziellen Hafenrundfahrt nie gekommen wäre. Ach ja, und irgendwann war Jürgen dann auch mal wieder bei seinen Eltern zu Besuch -- mit seinem neuen Mercedes. Keine Ahnung, was dann weiter aus Jürgen geworden ist, ich habe ihn später nie mehr wiedergesehen.

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