Hansastrasse 17 |
Erstaunlicherweise steht das alte Haus noch, in dem meine Eltern und wir seit den 1950er Jahren gewohnt haben - und heute noch meine Schwester lebt. Auch das Cafe "Funk-Eck" mit seiner schönen Terrasse lädt mit dem leicht angestaubten Charme eines Lokals für anständige (s-t bitte aussprechen) Hamburger. Seinen Namen hat
das Cafe nicht ohne Grund, denn nur wenige hundert Meter entfernt befindet sich der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Oft konnte man früher hier Leute treffen, die dort arbeiteten oder zu tun hatten. Während das Fernsehen heute in Lokstedt angesiedelt ist, befinden sich die Radio-Redaktionen und Studios immer noch an der Rothenbaumchaussee.
Das Haus wurde Anfang der 1950 Jahre gebaut, für die Zeit der Trümmer und Notunterkünfte modern und komfortabel. Es hatte bereits Aufzug und eine Garage. Letztere wurde aber nicht ausgeschachtet, sondern ebenerdig gebaut, das Haus danach oben drüber gebaut - so wirkt es heute mit seinen Stufen wie aufgebockt - an Behinderte dachte damals niemand. Die Wohnung mit etwa 60m² waren sehr modern, hatten ein eigenes Bad mit Badewanne und Boiler sowie eine kleine Küche. Unverwechselbar machen das Haus die Laubengänge, was für uns bedeutete, dass die Nachbarn immer an unseren Fenstern vorbeigehen mussten, um ihre Wohnungen zu betreten. Da hatte man vor allem Nachts das Gefühl, dass jemand durch das Zimmer geht.
Im Cafe Funkeck verbrachte mein Vater viel Zeit und ließ auch viel Geld dort - zum Unwillen meiner Mutter. Oft holten wir Kuchen aus der zum Cafe gehörenden Konditorei, die in den 60ern dem damaligen Innungschef der Hamburger Bäcker gehörte. Ich erinnere mich noch gut an die schwer alkoholisierten Rumkugeln sowie den Pflaumenkuchen den die ältere Dame hinter dem Tresen uns einpackte, manchmal gab sie auch ein Stück umsonst - Ehre ihres Andenkens. Das 'Funk Eck' sieht heute fast noch genauso aus wie in seiner Hochzeit der sechziger und siebziger Jahre.
Funk-Eck 2019 |
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28.5. 1965 |
Heute wirkt das Haus in der Hansastrasse innen runtergekommen, es gehört immer noch einer Versicherung, die kassiert aber wenig investiert. Deshalb ist auch wohl das alte Treppengeländer noch erhalten - Fifties original!
Die 'braune' Vergangenheit war damals an vielen Ecken noch präsent. So kam ich einmal vom Spielen nach Hause und berichtete meinem Vater, dass auf einem Telefon-Verteilerkasten in unserer Straße noch der Nazi-Adler mitsamt Hakenkreuz prangte. Eigentlich nicht verwunderlich, stand doch damals noch an der Autobahnauffahrt Richtung Lübeck: "Reichsautobahn". Mein Vater nahm sich jedeenfalls der Sache an und die Tür aus Großdeutscher Zeit wurde ausgetauscht.
Hallerstrasse heute |
Rathausmarkt. Auch eine U-Bahnhaltestelle (Hallerstraße) bot eine gute Verbindung in die City. Seit einigen Jahren wird über eine Neuauflage der Straßenbahn diskutiert - na wenigstens haben sie die U-Bahn nicht auch abgeschafft. Bei meiner Ankunft am Abend kam ich am beleuchteten Schaufenster des Buchladens am Rothenbaum vorbei. Es gab ihn dort schon während meiner Schulzeit - ich habe mich gefreut. Auf meinem damaligen Schulweg zur Volksschule am Turmweg, die ich ab 1960 besuchte, kam
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...es gibt den Buchladen immer noch! |
Hinter unserer Schwimmhalle und neben dem Stadion stand ein bedrohlich wirkender Hochbunker, der während des Zweiten Weltkrieges als Wehrmachts-Kommandozentrale genutzt worden war. Hier hatte sich mein Vater https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/erinnerung-karl-heinz-ressing.html - so erzählte er jedenfalls später einmal - im Mai 1945, wenige Tage vor der Übergabe der Stadt an die britischen Truppen, selber aus der Wehrmacht entlassen. Im damaligen Chaos des Untergangs des Dritten Reiches habe er sich ein Formular samt Wehrmachtsstempel geschnappt und dann aus dem Wehrdienst entlassen - hätte man ihn dabei erwischt, wäre das sein Ende gewesen.
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HSV-Platz und Hochbunker anno 46 |
aus meiner Schulzeit. Damals gab es hier 'normale' Gemüsestände, heute stehen ausgewählte Delikatessen-Wagen hier - nun ja, die Gegend ist halt 'fein' geworden. Aber beim Imbiss gab es immer noch die kleinen gebratenen Würstchen - dafür hatte mir meine Mutter an jedem Markttag 1 DM mitgegeben, die ich nach Schulschluss dort umsetzte. Hallo Kinderzeit!
Am Ende des Turmwegs steht immer noch die neogotisch erebaute evangelische Backsteinkirche St.Johannis. Hier haben sich 1949 mein Vater und meine Mutter trauen lassen - dabei war sie eigentlich Katholisch - aber Religion spielte in unserer Familie nie ein Rolle. Hier wurde ich einst auch konfirmiert - erinnere mich heute noch an die verlorene Zeit beim wöchentlichen Konfer-Unterricht im neben der Kirche gelegenen Gemeindehaus. Ein gegen Katholiken eifernder, dem Alkohol nicht abgeneigter Pastor schulte uns für die öffentliche Prüfung - jeder musste Antworten auf fünf Fragen auswendig lernen. Damit war das ganze also nur ein Schauspiel für die Gäste - gläubig wurde ich so jedenfalls nicht - gut so.
Weil Markttag war, hatte die Kirche geöffnet und so ging ich in Erinnerung an die Konfirmation das Kirchenschiff herauf und herunter. Immer noch ein kühler und irgendwie abweisender Ort.
Heutige Musikhochschule |
Nur etwa einhundert Meter entfernt, in der Magdalenenstraße 21, wohnte nach dem Krieg meine deutsche Großmutter. Die Gegend hatte keine größeren Bombenschäden erlitten, obwohl hier Militärisches Sperrgebiet der Wehrmacht gewesen war. So quartierten sich nach Kriegsende hier mein Vater und seine Schwester samt zwei Kindern ein, zwei Jahre später kam meine Mutter aus Frankreich hinzu. Sie lebten hier auf beengtem Raum und außerdem trafen sich regelmäßig einige junge Leute zu Diskussionsrunden, denn mein Vater leitete damals die Jugendzeitschrift 'Benjamin'. Er wollte der von den Nazis enttäuschten Jugend ein Forum bieten und so trafen sich einige von ihnen 1946 regelmäßig auf Omas-Kanapee. Einer darunter war der junge Ralph Giordano - der sich viele Jahre später noch noch gut daran erinnerte.
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Ralph Giordano (Mitte) 1946 |
Trotz jetzt strömendem Regen lief ich weiter durch die Gegend - und ließ mich stoisch durchweichen. Mein Weg führte mich in die Feldbrunnenstraße zu meinem alten Kindergarten - der immer noch existiert. Es muss Anfang der 1960er Jahre gewesen sein, da gab es im Nachbarhaus einen ziemlichen Presserummel. Dort befand sich eine Privatklinik und hierher war Uwe Seeler nach seiner Verletzung der Achilles-Sehne gekommen, um sich auszukurieren. Gesehen habe ich ihn damals leider nicht.
Nach diesem Abstecher bahnte ich mir den Weg durch den Regen zu der Straße, die bis heute die für mich schönste in Hamburg ist:
Heimhuder Straße. Dieser von alten Bäumen überwachsene Boulevard führt vom Turmweg bis hinunter zur Moorweide - inmitten allen Verkehrstrubels eine grüne Oase. Dazu kommt, dass sich hier einst das Büro meines Vater befand. Er war in den 1960ern Herausgeber eines Fachdienstes: "Funk Fernsehen Film - fff-press". Eine Etage tiefer befand sich das renommierte Hans-Bredow-Institut - das beste Archiv zur Rundfunkgeschichte in Deutschland. Die Firma meines Vaters verschwand Mitte der 1960er Jahre, das Bredow-Institut blieb erhalten - ich selbst habe dort als Student noch Veranstaltungen besucht.
Ziemlich überrascht stand ich jetzt vor der alten Villa, die man den 60er Jahren mit gelbem Klinker verunstaltet hatte.
Erst auf den zweiten Blick erkannte ich das Gebäude wieder,
Einst FFF-Press und Bredow-Institut |
Von hier aus waren es nur ein paar Schritte zur Moorweide und zum Dammtorbahnhof. Was für Erinnerungen verbinden mich mit diesem Platz, im Sommer traf man sich zum Kicken auf der großen Wiese. Als Jugendlicher besuchte ich gerne das Amerika-Haus, an dessen Platz sich heute ein minderschönes Hotel für gehobene Stände befindet. Das Amerikahaus hatte eine tolle Bibliothek, die ich Ende der 1960er Jahre gerne aufsuchte - gab es hier doch Bildbände mit alten Fotografien aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) und Aufnahmen der Prärie-Indianer. Dazu konnte man Schallplatten mit alten Gesängen der Indianer oder den Blues der Schwarzen hören. Später erkannte man das Amerika-Haus daran, dass es immer mit Absperrgittern der Polizei umgeben war - eine Folge der US-Politik in Vietnam und anderswo.
Die Moorweide war immer wieder Versammlungsort der verschiedensten Demonstrationen - meine erste erlebte ich als Schüler Ende der 1960er, da gingen wir und die Lehrer gemeinsam gegen den 'Bildungsnotstand' auf die Straße. Später war die Moorweide vor allem wegen der Proteste gegen Atomernergie der große Versammlungsort - inclusive diverser Polizeieinsätze..... Nun ja, lange her und heute war es ruhig und nass - also macht ich mich in Richtung Innenstadt auf den Weg, denn langsam kam die Sonne heraus - aber darüber berichte ich ein anderes mal.....
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