Sonntag, 26. März 2023

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil XII

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

Ende und Anfang


HSV-Stadion Rotherbaum - links Bunker
 
 
Ich wurde Ostern 1960 in der Volksschule am Turmweg in Hamburg Rotherbaum eingeschult. Direkt daneben lag damals das Stadion des HSV, an dessen Zaun wir immer in der 'großen Pause' das Training von Uwe Seeler und Charly Dörfel verfolgten. Daneben befand sich ein düsterer Hochbunker aus der Kriegszeit. Er spielte in den letzten Kriegstagen eine wichtige Rolle für das ganz persönliche Kriegsende meines Vaters.
 
Heinz kommandiert April 1945
Heinz war mit seinem Propaganda-Trupp im niederländischen Apeldoorn stationiert. Sie waren von dort vor den britischen Truppen mit viel Glück nach Hamburg entkommen. Heinz erreichte im April 1945 mit seinen vier Untergebenen die Hansestadt und sie kamen in der Wohnung seiner Mutter in der Magdalenentrasse unter. Im heute noblen Pöseldorf nahe der Alster findet man, versteckt im Hof der Hochschule für Musik, ein mächtiger Tiefbunker. Hier befand sich bis Kriegsende der sogenannte 'Kampfstand' von NS Gau- und Reichststatthalter Karl Kaufmann.
 
Bis zum Mai 1945 war das gesamte Viertel militärisches Sperrgebiet der Wehrmacht. Hier hatten sich bis Kriegsende die NS-Größen vor den Bombenangriffen in Sicherheit gebracht. Das Gebiet zwischen Mittelweg, Harvestehuder Weg, Milchstraße und Alsterchaussee war durch Stacheldraht und Spanische Reiter abgesperrt und wurde von schwerbewaffneten Soldaten bewacht. Während die Arbeiterviertel der Stadt bei den Angriffen ab 1943 in Schutt und Asche gebombt wurden und Tausende starben, blieb Pöseldorf verschont. Auch der wenige hundert Meter entfernte Hochbunker am Mittelweg, Kommandozentrale der Hamburger Flugabwehr-Division und des Wehrmachtskommandanten, war unzerstört geblieben
 
Im April 1945 in Hamburg angelangt, wurde Heinz als Leiter einer Druckerei für Zeitungen und Mitteilungen der  Wehrmachtskommandantur eingesetzt. Er wurde aber bald von seinem Vorgesetzten, SS-Hauptsturmführer Böhnert (HJ-Führer und Mitglied einer SS-Propagandastaffel) seines Amtes enthoben. Dazu schrieb Heinz nach Kriegsende In seiner
Zeitung Niederlande 1.4.1945
Stellungnahme zur Entnazifizierung: Er habe sich damals geweigert, „scharfmacherische Artikel in sein Nachrichtenblatt zu übernehmen". Darüber hinaus habe er am 20.April 1945 Abgelehnt, einen Text zu Hitlers Geburtstag zu schreiben. Danach durfte Heinz nur noch die Zeitungen ausfahren - eine harmlose Strafe. Vielleicht war auch dem SS-Hauptsturmführer, vor und nach dem Krieg Schauspieler, mittlerweile klar geworden, dass es mit dem Dritten Reich vorbei war. Heinz bemerkte dazu im Januar 1948: „Nur die bereits einsetzende Auflösung in Hamburg, hat eine schärfere Bestrafung verhindert.“
 

Heinz 'entlässt' sich aus der Wehrmacht

 
Am Abend des 2. Mai 1945, einen Tag nach der offiziellen Bekanntgabe des Todes Hitlers, fuhr der Wehrmachtskommandant Hamburgs, Generalmajor Alwin Wolz, zu den britischen Vorposten im Dorf Meckelfeld - wenige Kilometer vor dar Stadt. Er wollte die kampflose Übergabe der Stadt vereinbaren. Am folgenden Tag - einem Donnerstag - erreichten die britischen Einheiten gegen 18.30 Uhr den Rathausmarkt. Der britische Colonel Harry William Hugh Armytage wurde erster britischer Stadkommandant Hamburgs.
 
Heinz und seine Kameraden drohte jetzt das Gefangenschaft und sie überlegten in der Magdalenenstrasse, wie sie dem entkommmen konnten. Heinz ging also zum nur wenige hundert Meter entfernte Befehlsstand von Generalmajor Wolz in den Hochbunker an der Rothenbaumchaussee. Hier befand sich alles in Auflösung, die letzten Kampfeinheiten - vor allem die Waffen-SS - hatten sich längst Richtung Norden nach  Schleswig-Holstein abgesetzt. So betracht der Wehrmachtsfeldwebel Ressing unbehelligt die Kommandantur. Die Soldaten dort waren damit beschäftigt, im Hof Unterlagen zu verbrennen und ihre Flucht zu organisieren. Heinz betrat ungehindert die leere Schreibstube,und sammelte dort diverse Dienststempel und Formularen ein. Mit seiner 'Beute' kehrte er dann in die Magdalenenstrasse zurück. Dort versahen er und seine Kameraden die Unterlagen mit der durchgepausten Unterschrift des Stadtkommandanten samt Wehrmachtsstempel und entließen sich aus dem Militärdienst. Für sie war der Krieg vorbei....

Heinz ist wieder Zivilist
Jetzt ging es darum, das Überleben im 'Frieden' zu sichern - und das bedeutet vor allem: Wie bekommt man etwas zu Essen? Dazu brauchten sie Lebensmittelkarten und um sie zu erhalten, musste man in Hamburg gemeldet sein. Mitte Mai 1945 begab sich Heinz zum nahegelegenen Polizeirevier in der Feldbrunnenstrasse, während in der Magdalenenstrasse die vier Kameraden warteten. Zum Abschied sagte er zu ihnen: „Wenn ich nicht wiederkomme, dann ist die Sache faul und sie haben gemerkt, dass die Entlassungsscheine nicht stimmen.“ Die Beamten nahmen aber ohne Zögern seine  Anmeldung auf, später gingen seine Kameraden zur Anmeldung dort hin. Aber trotz Lebensmittelkarte war die Situation schwierig, die Rationen reichten kaum zum Überleben - man musste also `Organisieren'. Ihnen kam die Idee: Wieso sollten sie sich nicht einfach in einer Nachbargemeinde Hamburgs auch noch anmelden? Das hätte doppelte Rationen bedeutet und so fuhren Heinz und seine Männer zu den Landungsbrücken. Dort bestiegen sie eine Barkasse, die sie Elbaufwärts nach Stade brachte. Die Anmeldung verlief problemlos, aber auch mit zwei Lebensmittelkarten war es schwer, satt zu werden. Was tun? Ein Kamerad, der Grafiker Roland Kohlsaat, fälschte für die Gruppe Brotmarken. Bekannt wurde der Zeichner 1953 mit seinem Comic in der Illustrierten 'Stern': 'Jimmy das Gummipferd'.
 
Jetzt saßen die Ex-Soldaten also in der Wohnung von Mutter Frieda Ressing. Die Gegend war von Bombenangriffe verschont geblieben. Heinz hatte nach den verheerenden Angriffen auf Hamburg 1943 in Frankreich Urlaub bekommen und war in die schwer zerstörte Stadt gereist, um nach siner Familie zu sehen. Seine Mutter und Schwester Käthe waren aber nach Erfurt, Friedas Heimatstadt, geflohen. Auch hier waren sie nicht sicher, die alliierten Bomber nahmen auch diese Stadt ins Visier. Im April 1945 erreichten US-Truppen die Stadt, sie zogen aber im Juli wieder ab, denn Thüringen gehörte zur russischen Besatzungszone. Hier wollten Frieda, Käthe und die Kinder nicht bleiben und sie erreichten im September 1945 wieder die Magdalenenstrasse in Hamburg. 
 

Briten organisieren Entlassung

 
In Hamburg war der britischen Kommandantur und der von ihr reorganisierten deutschen Polizei der massenhafte Zuzug ehemaliger Wehrmachtsangehöriger aufgefallen. Ende September 1945 wurden deshalb überall Plakate angeschlagen. Demnach sollten sich alle Ex-Soldaten in der ehemaligen Kunsthalle an der Binnenalster zur offiziellen Entlassung einfinden. Heinz sagte sich: ‚Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste’ und legte vor dem Weggehen sein Uhr ab. Zu Käthe meinte er: „Wenn die Russen Uhren klauen, warum sollen das die Engländer nicht auch tun?“ Vorausschauend nahm er auch sein Soldbuch nicht mit, immerhin war dort vermerkt, dass er Mitglied einer Propagandakompanie gewesen war – und das hätte seine Internierung als möglicher NS-Belasteter bedeuten können. In der Kunsthalle angekommen, musste er sich zur Gruppe der Soldaten stellen, die keine Papiere hatten. Dort habe er gemeinsam mit anderen „präsumtiven Verbrechern“ gewartet, beschrieb er später die Szenerie. In der Masse der Ex-Soldaten entdeckte Heinz einen Bekannten. Dieser war vor dem Krieg Manager des Boxweltmeisters Max Schmeling gewesen und Heinz hatte ihn bei einem Pressetermin kennen gelernt. Als er ihm sagte, dass er keine Papiere habe, machte der Kamerad ein nachdenkliches Gesicht. Dann wies er auf eine Gruppe am Rand hin und sagte: „Schau Dir mal Deine Leidensgenossen an, die haben alle eine Aktentasche mit Zahnbürste und Wäsche mitgebracht. Die nehmen an, gleich verhaftet zu werden.“ Das wirkte nicht unbedingt ermutigend, als sie aufgefordert wurden, in die große Halle des Kunstmuseums zu gehen. Dort saßen um einen Tisch drei britische Offiziere und einer - jung, blond und ziemlich müde - befahl: „Oberkörper freimachen! Arme hoch!“ So wollte man feststellen, ob sich ein SS-Mitglied unter den Männern befand, denn ihnen waren die Blutgruppe am Oberarm eintätowiert worden.
Heinz wurde nach seinem Soldbuch gefragt, er stellte sich dumm – das hatte er bei der Wehrmacht ja gelernt - und antwortete, seine Unterlagen seien vor Kriegsende zusammen mit seiner Einheit nach Schleswig-Holstein gebracht worden. Auf Nachfrage gab er als Truppenteil: Infanterieregiment 67, General von Seekt, Spandau an. Seine Zugehörigkeit zur Propagandaabteilung ließ er tunlichst unerwähnt. Der britische Offizier stempelte ein Papier ab und Heinz musste zu einem Sergeant gehen, der ihm eine Ladung Insektenpulver unter das Hemd und in die Hose beförderte. Damit war jetzt für Heinz endgültig seine Soldatenzeit beendet.

 


Sonntag, 5. März 2023

Erinnerung an Fernande Henriette Aubry

Meine Mutter Fernande Henriette Ressing, geborene Aubry, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.


 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

Fernande mit 25 Jahren
Der 15. Februar 1923, war - für Nordfrankreich - ein milder Wintertag, kühl und tiefhängende Wolken. Das etwa 100 Kilometer entfernten Meer ist mit seinem rauhen Klima auch im Dorf Saint Benin und der Kleinstadt Le Cateau präsent. Herbst und Winter sind im Departement Nord, wenige Kilometer von Belgiens Südrenze oft stürmisch, mit Nebel, kalt und regnerisch.

An diesem Donnerstag 1923 wurde im Krankenhaus von Le Cateau Fernande Henriette Aubry - meine Mutter - geboren. Sie war die Tochter von Flore und Clotaire Aubry, die beide im Dorf Saint Benin lebten. 

Die Eltern waren einfache Leute, Flore hatte nach 1918 in einer Mühle und in einer Keramik-Fabrik gearbeitet. Clotaire war als Kriegsversehrter in das nordfranzösische Dorf gekommen, hatte in der Mühle gearbeitet und dort seine Frau Flore kennengelernt.

Fernande mit Sieben Jahren am Meer
 

Der Erste Weltkrieg hatte mit seinen Schrecken ihr Leben geprägt, Flore musste ab 1914 unter deutscher Besatzung leben und wurde mit dem Mutter über die Schweiz ins unbesetzte Frankreich abgeschoben. Clotaire war, in der Region Verdun lebend, 1916 zur Artillerie eingezogen worden und bei einem Gasangriff 1918 bei Soissons schwer verwundet worden, sodas er zehn Jahre später an den Folgen verstarb.

Die Region um Le Cateau und Saint Benin war 1914 und erneut im Herbst 1918 Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen. Die Region lag größtenteils in Trümmern. Überall zeugen heute noch große Soldatenfriedhöfe davon.

Fernande mit Flore
 

1923 hatten französische Truppen das Ruhrgebiet besetzt. Die Familie Aubry bekam das nur aus der Zeitung mit, das Leben im kleinen Haus im Dorf war anstrengend genug. Nachdem der Vater 1928 im Sanatorium in Lourdes der Kriegsverletzung erlegen war, musste die Mutter Fernande alleine großziehen. Sie bemühte sich um eine gute Schulbildung die, die die Tochter 1940, kurz vor dem deutschen Überfall, mit der Mittleren Reife abschloss. Fernande war ein Film-Fan, jedes Wochenende gab die Mutter ihr Geld und sie lief mit einer Freundin ins nahegelegenen Le Cateau, um das Kino zu besuchen. 

Das rauhe Klima Nordfrankreichs tat Fernandes Gesundheit nicht gut, sie bekam Tuberkulose und wurde in ein Sanatorium in den Ardennen, nahe der belgischen Grenze geschickt. Genau hier stieß die Wehrmacht im Mai 1940 nach Frankreich vor und Fernande floh mit anderem im Bombenhagel nach Lille, in dem ihre Mutter lebte.

Fernande (links)
 

Hier lernte sie meinen Vater Karl Heinrich Ressing durch Zufall kennen, er arbeitet dort für eine Besatzungs-Zeitung der Wehrmacht als Redakteur. Da er gut französisch sprach und den französischen Mitarbeitern deutlich machte, kein Nazi zu sein, war der schlanke, große und attraktive Henri beliebt. Durch Zufall lernte sie ihn kennen und es war kein Wunder, dass sich die gerade einmal 20-Jährige Fernande in den gutaussehenden und kultivierten Mann verliebte. Mutter Flore ließ sie gewähren - gegen Fernande Dickkopf kam sie nicht an. Da Heinz dienstlich wie privat keine Uniform tragen musste, fiel er als 'Besatzungssoldat' kaum auf. Das dürfte ein Grund dafür gewesen sein, dass Fernande nach Kriegsende der öffentlichen Demütigung entging, die Frauen erdulden mussten, die sich auf einen deutschen Soldaten eingelassen hatten. Vielleicht auch aus Vorsicht waren sie und Ihre Mutter kurz nach Kriegsende aus Lille in das Dorf zurückgekehrt.

...wieder zusammen in Hamburg...

Heinz gelang es über Kontakte zum Roten Kreuz Briefkontakt mit Fernande aufzunehmen. Sie versuchte illegal Hamburg zu erreichen, was beim zweiten mal auch gelang. Heinz arbeitete damals wieder als Journalist - er galt als Unbelastet - und kannte den britischen Stadtkommandanten Hamburgs. Dieser legalisierte Fernandes Aufenthalt quasi in letzter Sekunde, denn die französischen Behörden hatten bereits ihre Ausweisung beantragt.

Standesamt 1948

Fernande und die Deutschen - das blieb immer ein gespanntes Verhältnis. Trotz ihrer doppelten Staatsbürgerschaft  galt sie für viele Deutsche als Ausländerin - leicht an ihrem Akzent erkennbar. Sie äußerte sich häufig sarkastisch über die 'Unkultur' der Deutschen. Diese erlebten ab 1933 ja nur die 'Herren-Kunst' - während in Frankreich bis 1940 Vielfalt bestanden hatte. Über die Kollaboration und dem Petain-Regime verlor sie uns gegenüber nie ein Wort. Gerne mokierte sie sich über die doppelte Moral: "Eine Deutsche Frau schminkt sich nicht - Ha! Bei uns stieg damals jeder Soldat den geschminkten Fränzösinnen nach!" Sie liebte weiterhin das französische Kino und las französische Illustrierte wie Elle oder Paris Match. Liefen im Fernsehen Filme über die Massenaufmärcshe der NS-Zeit meinte sie sarkastisch: "Ja ja und jetzt will keiner dabeigewesen sein". 

Insgesamt war sie aber, wie viele Frauen ihrer Generation, ein unpolitischer Mensch. Sie hatte auch die Deutsche Staatsbürgeschaft und bei Wahlen stimmte sie für den Kandidaten, den Heinz wählte. Von ihrer kulturellen Offenheit und Bildung haben wir als Kinder aber profitiert. Sie bestand auch immer darauf, dass Heinz mit einem gewissen Chic gekleidet war. Gelitten hat sie darunter, dass sich ihr Wunsch nach einem repräsentativen Haus nie erfüllte. Heinz war auch alles andere als treu, die Ehe eigentlich für beide eine mesalliance.

Nachkrieg: Fernande und Heinz in seiner Redaktion
Im Mai 1949 wurde meine Schwester Florence in Hamburg geboren, im Oktober 1954 ich. Die Verbindung der Eltern endete 1967, Heinz verließ die Familie und Fernande musste sich und ihre Kinder alleine durchbringen. Es war eine schwere und für sie demütigende Zeit, sie musste als Putzfrau arbeiten und bekam erst später einen Job im Versand des Kinounternehmens Rank-Film in Hamburg. 

Sie schaffte es nie, wirklich von Heinz loszukommen - obwohl er mit einer anderen Frau zusammenlebte. Sie musste ihn  auf Unterhalt verklagen, ließ sich aber nie scheiden. Angesichts der Rechtslage Mitte der 1969 hätte das auch eine gerichtliche  'Schlammschlacht' nach sich gezogen. 

Heinz war für Fernande - trotz allem - ihre große Liebe. Im Jahr 1976 wurde bei Ihr fortgeschrittener Krebs der Bauchspeicheldrüse festgestellt, an dem sie am 9. Dezember in Hamburg verstarb.


Letzte Aufnahme 1975



Zu Karl Heinrich Ressing: https://1913familienalbum.blogspot.com/2014/04/erinnerung-karl-heinz-ressing.html

 

Montag, 5. Dezember 2022

Wissembourg im Elsass - Ein Weihnachtsmärchen

Wissembourg Stadtmauer 3. Dezember 2022


 

Wer das Elsass besucht, hat dabei zumeist die Region um Colmar und Straßbourg im Auge. Weinorte wie Riquewihr am Fuß der Vogesen, ziehen jedes Jahr tausende von Besuchern an. Sie locken mit schön restaurierten Fachwerkhäusern, noblen Hotels und gemütlichen Weinstuben - wirken oft aber ein wenig wie Theater-Kulissen. Wir bevorzugen dagegen den ruhigeren Norden des Elsass: Wissembourg, Woerth, Hagenau und Saverne. Viele Besucher aus Deutschland, dem Rhein-Main-Dreieck und Karlsruhe verbringen hier ein Wochenende - zum Wandern und vor allem wegen der französisch-elsässischen Delikatessen - von Choucroute, Munster Käse über Eclair bis Gugelhupf. 





Wissembourg im Advent



Vor allem in der Adventsszeit kommen viele Deutsche zum beschaulichen Weihnachtsmarkt von Wissembourg. Die kleinen Holzhütten laden an den Advents-Wochenenden rund um die Hauptkirche und im Hof der Sous-Préfecture zum Besuch ein. Hier gibt es Spezialitäten der Region, Wurst und Käse aus dem Elsass, Erbsensuppe,
Crêpes, Bratwurst und Glühwein - weiß und rot. Geschenkartikel werden angeboten. Eine besondere Attraktion der Advendszeit sind die Aufführungen der örtlichen Theatergruppe 'Ex Nihilo' (1). Dabei erzählen die Laien-Darsteller in Kostümen in der bunt beleuchteten Szenerie am Abend Geschichten 

  


 
und Weihnachtliches. Bei unserem Besuch am 3. Dezember 2022 waren wir, angesichts der klirrenden Kälte, von der Standthaftigkeit der DarstellerInnen wirklich beeindruckt. Sie zogen mit ihrem Publikum am Graben der Stadtmauer entlang und präsentierten im Scheinwerferlicht in den aufgebauten Kulissen Historien aus Wissembourg. So lebte hier im 17.Jahrhundert der exilierte polnische König samt Hofstaat. Mein Tipp für kälteempfindliche Besucher: Es gibt auch im Sommer Aufführungen - am Schluss mit Feuerwerk. 

Wissembourg liegt direkt an der französisch-deutschen Grenze, durch den beschaulichen Ort mit seiner alten Stadtmauer fließt die 'Lauter'. Der Pfälzer Wald liegt weniger als fünf Kilometer entfernt. Auf der Anhöhe über der Stadt steht das 'Deutsche Weintor', dessen Architektur sofort verrät, das es in der Nazizeit errichtet wurde. Man wollte dem 'Welschen Erbfeind' im Tal die neue Macht des NS-States zeigen. Einst flatterte hier an der Reichsgrenze eine große Hakenkreuz-Fahne, den Adler mit Hakenkreuz entfernte man 1945 - das scheußliche Tor steht aber immer noch. 

Heute friedliche Region - lange umkämpft

Wissembourg hat heute knapp 7500 Einwohner, ein beschaulicher Touristenort, der einst - wie das gesamte Elsass - politischer Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland war. Nach dem dreißigjährigen Krieg gehörte die Region zum französischen Königreich. Das deutsche Kaiserreich verleibte sich das Elsass 1870/71 nach dem Sieg über Frankreich ein, das sich die Region nach dem ersten Weltkrieg zurückholte. Während des Zweiten Weltkrieges annektierte der NS-Staat das Elsass erneut. Im Ersten- und Zweiten Weltkrieg mussten tausende junge Elsässer für Deutschland in den Krieg ziehen. Die letzten Kämpfe im Nordelsass endeten erst Anfang 1945, nach Kriegsende wurde die Region Elsass endgültig franzöisch.

Französisch 1784
Die wechselnde Geschichte, mit den Staaten die über die Region herrschten, belegen heute noch die Architektur alter Häuser der Stadt. Neben  Fachwerkhäusern und Palais aus französischer Zeit wurden ab 1871 Gebäude im wilhelminischen Stil der Gründerzeit errichtet. Macht repräsentierte sich auch durch die Kasernen des preussischen Militärs - man traute nämlich der Loyalität der Elsässer nicht. Für die Bevölkerung war das Leben in den letzten 150 Jahren kein Zuckerschlecken. Nach 1870/71 und zwischen 1939-45 durften nicht französisch gesprochen werden, französische Beamte und Lehrer mussten das nun 'deutsche Elsass' verlassen - dafür 'revangierten' sich die Franzosen
 Deutsch um 1890

nach 1918 und 1945. Deutsch oder Elsässisch sprechen war bis weit in die 1960er Jahre  verpönt. Die ElsässerInnen galten mit ihrem Regionalstolz lange als 'unsichere Kantonisten'. Den Absurden Streit um die Identität der Region kann man im Nordelsass an der Geschichte alter Denkmäler der vielen Kriege erkennen. Die jeweiligen Sieger entfernten die der Besiegten - heute erinnern sie friedlich nebeneinander an die tragische Geschichte der Region.

Bayerischer Helm - Französisches Tschako

Im Sommer 1870/71 waren Wissembourg und die Region im Norden Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Truppen des französischen Kaisers Napoleon III. und deutschen Soldaten gewesen. Am 4.August 1870 stürmten preussische und bayerische Truppen von den Pfälzer Anhöhen die Stadt, Soldaten des französischen Kaisers wurden überrascht, waren personell und materiell unterlegen. Es standen 30.000 Deutsche nur etwa 6000 Soldaten Napoleons gegenüber. 

Während der Schlacht wurden etwa 1700 französische und deutsche Soldaten getötet oder verwundet. Das Deutsche Reich ließ nach der Annektion 1871 Denkmale für seine 'Helden' errichtete, die Frankreich dann nach 1918 entfernen ließ und durch eigene ersetzte - zwischen 1939 und 1945 geschah dies erneut. Heute findet man in der Region viele restaurierte Erinnerungen und kleine Museen des Krieges 1870/71 - ein französisches Denkmal wurde noch 2005 errichtet. 

 Über die Geschichte der Stadt und seine deutsch-französische Vergangenheit bietet das Gebäude der Unterpräfektur von 1784. Auf einer Etage ist der Bestand der Sammlung des einstigen Museums 'Westercamp' untergebracht. Das Museum befand sich bis 2002 in einem alten Bauernhof der Stadt, musste aber aus Sicherheitsgründen den Standort wechseln. Gründer der Sammlung war Paul Westercamp, Notar in Wissembourg und Sammler, der das Museum zusammen mit dem
dem Heimatverein ab 1872 aufbaute, es wurde offiziell am 12.Mai 1913 eröffnet. Heute bietet das kleine Museum Artefakte aus römischer Zeit, Möbel und Trachten des 19.Jahrhunderts. Alte Uniformen und Waffen dokumentieren die tragischen Ereignisse von 1870.   

Viele Besucher kommen nach Wissembourg aber nicht wegen seiner bewegten Geschichte, sondern um zu Wandern oder die alte Stadt zu genießen. Restaurants und Cafés laden, oft hinter alten Fassaden, zum Besuch ein. Wissembourg wirkt aber nicht wie das 'Disney-Alsace' im Südden der Region, in der Stadt leben und arbeiten Menschen - grenzberschreitend. Deutsche haben sich in den letzten Jahrzehnten  Feriendomizile im Nordelsass gekauft. Lezteres hat dabei durchaus auch für Unmut unter Einheimischen gesorgt, sie fürchten, dass die Deutschen die Preise verderben. Im Gegensatz zu früherer Zeit, in der das Elsass als Randgebiet der Republik galt, zählt es heute zu den wohlhabenden Regionen Frankreichs. Im Sommer hier eine Unterkunft zu finden, ist nicht leicht, auch die Restaurants sind an Wochenende oft ausgebucht - man sollte reservieren - kein Problem, denn viele verstehen und sprechen hier Deutsch.


Frohe Weihnachten - Joyeux noël




 

 

 

Info:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wissembourg

(1) https://www.exnihilowissembourg.com/preface  

Siehe auch: https://1913familienalbum.blogspot.com/2023/08/wissembourg-im-elsass-ein-sommertraum.html

Montag, 6. Juni 2022

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil XI

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

Vom 'Erbfeind' zum Liebespaar



Fernande Kommunion
Meine Mutter Fernande hat nie gerne über ihre Kindheit und Jugend in Sant Benin erzählt. Nach ihrem Tod, im Dezember 1976 in Hamburg, sprach ihre Mutter Flore nur wenig über das Verhältnis zur Tochter. Es war schwierig gewesen, Fernande hatte sich für die ärmlichen Verhältnisse geschämt, in denen sie aufgewachsen war. Ihre Mutter hatte seit der Rückkehr aus Lille 1946, in Saint Benin gelebt, sie starb dort 1988. Fernande hat sich immer für das kleine Haus, den verwilderten Garten, sowie den Kaninchenstall mit dem P
lumps-Klo nebenan geschämt. Ein Milieu, aus dem sie immer entkommen wollte und sich nur ungern daran erinnerte.
 
Sommerferien am Meer
Fernande Henriette Aubry wurde am 15.Februar 1923 in Saint Benin geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters, sie war fünf Jahre alt, lebten sie und ihre Mutter mit dem Großvater zusammen. Nach dem der jähzornige Mann 1932 gestorben war - Fernande war Neun - wohnten Mutter und Tochter hier fortan alleine. Flore konnte nach der Geburt Ferandes keine Kinder mehr bekommen und hat auch nie wieder geheiratet. Sie versuchte  ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Dabei habe sich Fernande zu einer kleinen 'Despotin' entwickelt - sagte nach ihrem Tod Flore etwas verbittert und nachdenklich. Die Mutter wollte der Tochter eine höhere Bildung und damit ein besseres Leben  ermöglichen. Sie sollte nicht, wie ihre Mutter, später in einer Fabrik schuften müssen. Mitte der 1930er Jahre reformierte die Volksfrontregierung das Bildungssystem Frankreichs, Frauen erhielten bessere Aufstiegschancen. Flore und Fernande zogen nach Lille, denn in der Großstadt konnte die Tochter einen höheren Schulabschluss machen. Kurz vor Kriegsbeginn bereitete sie sich auf das 'Baccalaureat' vor. Wären nicht die Tuberkulose und der Krieg dazwischen gekommen, hätte sie vielleicht sogar studieren können. 
 
Fernande (links) am Filmset
Die junge Frau liebte das Kino und schwärmte für die Filmstars. In Frankreich gab es damals 4250 Kinos, die seit Mitte der dreißiger Jahre  Tonfilme zeigten. Fernande lief fast jedes Wochenende von Saint Benin in das nahegelegenen Städtchen Le Cateau, um dort im Kino die neuesten Filme aus Frankreich und Hollywood zu sehen. Sie schwärmte für den Macho Jean Gabin, lachte über Fernandel und bewunderte die Diva Danielle Darrieux. Später suchte Fernande in Lille Kontakte zu Filmleuten - das deutet zumindest ein Foto aus dieser Zeit mit einer kostümierten Frau vor einer Kulisse an.
 
Noch ist Frieden: Fernande (links)
Am 1.September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, der aber bis Mai 1940 in Frankreich ohne große Kampfhandlungen verlief. Die Soldaten lagen sich gegenüber, geschossen wurde selten, man nannte das 'drole de guerre' - bei den Deutschen 'Sitzkrieg'. Fernande und Flore fühlten sich, wie die meisten Franzosen, durch die Befestigungsanlagen der Maginot-Line geschützt - die von der Schweiz bis an die Südgrenze Belgiens in den Ardennen verlief. Die 17-Jährige Fernande hatte zudem schwere gesundheitliche Probleme, die sie vom Krieg ablenkten. Sie mussten wegen Tuberkulose in ein Sanatorium in den französischen Ardennen - eine Krankheit, vor der sie sich bis zu ihrem Tod gefürchtet hat.
 
Aber genau durch diese bewaldete Gegend, mit seinen engen Tälern und angeblich für Panzer nicht passierbaren Straßen, stieß am 10. Mai 1940 Hitlers Wehrmacht nach Frankreich vor. Wo sich das Sanatorium Fernandes genau befand, ist unbekannt, sie versuchte mit einer Freundin zu Fuß nach Lille zu gelangen. Davon erzählte sie Jahrzehnte später - immer noch mit Schrecken. Die Angriffe deutscher Tiefflieger mit ihren Maschinengewehren und Bomben auf mit Soldaten und Flüchtlingen vollgestopfte Straßen. Besonders das Geheul der Sirenen angreifender Stukas hat sie nie vergessen. 
 
Fernande erreichte in dem Chaos irgendwie Lille, ob vor oder nach den schweren Gefechten dort (28. - 30.5.1940), weiß ich nicht. Sie war jedenfalls wieder mit der Mutter vereint, die einmal erzählte, sie habe nach der Eroberung auf der Grand Place eine große Gruppe deutscher Militärs gesehen. In ihrer Mitte habe ein Mann "avec une moustache comme Charlot" - (Charlie Chaplin), gestanden. Es war Adolf Hitler, der kurz nach der Einnahme der Stadt die Region besucht hatte, in der er während des Ersten Weltkrieges stationiert gewesen war. In Le Cateau war ihm 1918 das Eiserne Kreuz verliehen worden.
 
Das Leben war für Fernande und Flore, die zum zweiten mal eine deutsche Besatzung erlebte, nicht einfach. Es gab keinen männlichen Ernährer, sie mussten sich selber durchschlagen. Immerhin konnten sie in Lille bleiben, obwohl die deutschen Besatzer die Rückkehr von Flüchtlingen in die Region, nach dem Waffenstillstand zuerst untersagt hatten. Womit Flore und Fernande ihren Lebensunterhalt verdienten, ist unbekannt - Lille war ein großes Industrie-Zentrum. Man war mit der Bewältigung des Alltags vollauf beschäftigt, während es sich die Besatzer auf ihre Kosten gut gehen liessen. Viele Franzosen 'arrangierten' sich damals mit den Besatzern, manche bewunderten die 'Sieger' und nicht wenige kolaborierten. Dies propagierte in Vichy, im unbesetzten Frankreich, der diktatorisch regierende Präsident, Philippe Petain - Antidemokrat und Antisemit.
 
Lille wurde zum Zentrum der Besatzungsverwaltung für Nordfrankreich und Belgien. Hier erschienen Zeitungen für die deutschen Soldaten, aber auch für die Bevölkerung, die von Heinz und seinen Mitarbeitern produziert wurde. Mit der
Propagandakompanie (PK) 501 der 26. Armee war er im Juni 1940 zuerst nach Paris und dann nach Lille beordert worden. Im März 1941 wurde er zur PK 695 der 15. Armee versetzt.
Besetzte Druckerei 'Voix du Nord' Lille
Neben diesen mobilen Einheiten wurden fest stationierte Propaganda Abteilungen in besetzten Verlagen der Region eingerichtet, die man besetzt hatte. So konnten Redaktionsräume und Druckereien für die Propagandaarbeit genutzt werden
Lille Heinz 2.von rechts
. Heinz arbeitete als leitender Redakteur, dabei beschäftigte er auch einheimische Mitarbeiter. Er  profitierte davon, im Dienst wie privat keine Uniform tragen zu müssen. Das erleichterte und förderte seine privaten Kontakte zur einheimischen Bevölkerung. In Punkto Frauen ließ er jedenfalls "nichts anbrennen", lästere Jahrzehnte später seine Schwester Käthe. Bei ihr, die damals in Straßburg im okkupierten Elsass lebte, sei eine junge Französin aufgetaucht. Sylviane war eine Ex ihres Bruders und er hatte seine Schwester gebeten, ihr bei der Arbeitssuche zu helfen. Sie ging mit ihr zur Geheimen Staatspolizei, um eine Arbeitsgenehmigung zu erbitten. Sylviane bekam einen Job in einem Flieger-Kasino - und verschwand, als die Alliierten sich 1944 der Stadt näherten. 
Heinz beim 'Echo du Nord' Lille

Heinz und Fernande

 

Der 27-Jährige Mann, 1,82 Meter groß, blond und schlacksige Heinz sprach gut Französisch und trat vor allem nicht mit der Arroganz des 'Siegers`' auf. Die französischen Beschäftigten in Redaktion und Druckerei merkten bald, das er kein Linientreuer Nazi war und Distanz zum NS-Regime zeigte. So gelang es ihm schnell, Kontakte zu knüpfen und als Vorgesetzter drückt er oft ein Auge zu, wenn Mitarbeiter illegale Geschäfte tätigten - 'Schwarzhandel' war damals überlebenswichtig. Einige seiner Leute hatten auch Verbindungen zum Widerstand, der 'Resistance' - und Heinz wusste davon.
 
Er konnte als `Sonderführer' seiner Propagandabteilung in Lille ein bequemes Leben führen, hatte eine eigene Wohnung in der Nähe des Bahnhofs. Obwohl militärisch nur Unteroffizier, musste Heinz als 'Sonderführer' nicht in einer Kaserne oder Massenunterkunft leben. Das förderte seine Beziehungen zur Zivilbevölkerung - männlich, wie weiblich. 
 
Fernande um 1940
Wann er genau Fernande kennenlernte, ob bereits 1940 oder erst nach der Rückkehr aus Russland im Herbst 1941 ist unklar. Die Geschichte entbehrt nicht einer gewissen Komik. Heinz hatte Dienstfrei und verbrachten den Abend in seiner Wohnung, da klopfte es an seiner Tür. Er hatte niemanden erwartet und war umso überraschter, als vor ihm eine junge Frau stand, die ihn ebenso erstaunt anblickte. Er bat sie hinein und fragte, wer sie sei und was sie von ihm wolle. Sie antwortete unsicher, sie sei hier mit einer Freundin verabredet. Des Rätsels Lösung: Ein französischer Kollege von Heinz wollte mit seiner Freundin ungestört einen Abend verbringen. Um aber den 'Guten Sitten' nicht zu widersprechen, hatte er gegenüber ihren Eltern behauptet, man würde sich zu Viert treffen. Weder Heinz noch Fernande wussten aber von diesem Arrangement. Nun standen sich die kleine Frau,  braunes, volles Haar, rundes Gesicht und geschminkt - dem 'blonden Germanen' gegenüber. Man plauderte und gefiel sich wohl gegenseitig, denn Heinz konnte sehr charmant sein. Fernande wiederum war hübsch, weiblich und widerprach mit ihrem Chiq und dem Makeup positiv dem 'Arischen' Frauenbild. Jahre später meinte Fernande: "Ja ja, eine Deutsche Frau schminkt sich nicht - aber bei uns rannten die Soldaten damals jeder Französin mit Lippenstift und gezupften Augenbrauen hinterher." 
 
Fahrausweis
Wie lange es dauert, bis beide ein Liebespaar wurden, weiß ich nicht, auch nicht, wann Flore den jungen Deutschen als 'Schwiegersohn' in spe kennenlernte. Wie sie über die Beziehung ihrer Tochter zu dem Deutschen dachte? Jedenfalls setzte Fernande ihren Kopf durch, sicherlich dürfte er sie und ihre Mutter materiell unterstützt haben. Da Heinz ja eine eigene Wohnung hatte, übernachtete Fernande oft bei ihm. Es muss 1944 gewesen sein, als sie mitten in der Nacht durch einen allierten Bombenangriff auf das Bahngelände aufgeschreckt wurden.  Fernande warf sich einen Mantel über - darunter war sie Nackt - und flüchtete mit Heinz in den Keller. Davon erzählte sie noch Jahrzehnte später lachend.
 
Für seine Karriere war die Verbindung zu Fernande schädlich,
er hatte vor Offizieren erklärt, eher auf eine militärische Laufbahn zu verzichten, als auf seine französische Verlobte. Das wurde sicherlich seinen Vorgesetzten hinterbracht. Nach Kriegsende schrieb Heinz zwei Erklärungen für das
Strafversetzt Potsdam 1942 (vorn 3.v.r)

Komitee VII in Hamburg zur 'Entnazifizierung': "Im April 1942 wurde ich von meinem Kompanie-Chef, Hans Giessler zur Ersatz-Abteilung Potsdam strafversetzt", zuvor hatte man ihm am 6. März bereits den Rang des Sonderführers entzogen: "weil ich mich mit einer Französin verlobt hatte. Auf die Liste der Offiziersbewerber wurde ich nicht gesetzt, da ich als 'politisch unzuverlässig'`galt." Zurück in Lille wurde er im Sommer 1944 nach Charleroi zum zweiten mal strafversetzt, wegen: "zu frankophiler Einstellung". Lange hielt die Maßregelung nicht, denn bereits am 1. August 1944 wurde er zum Feldwebel befördert - der höchste Rang den er im Krieg erreichte - und außerdem wieder 'Sonderführer' seiner  Propagandakompanie in Lille.
 

Monsieur Hernri und seine Kontakte.....


Seine Ablehnung des NS-Systems war einigen Kameraden
Lille 1944 - Fernande, Heinz - Peltier mit Brille
und auch manchen, der für ihn arbeitenden Franzosen bekannt. Einen von Ihnen, Marcel Peltier, hatte Heinz bereits 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin auf der Pressetribüne kennengelernt. Sie trafen sich im Herbst 1941 in Lille wieder. Wein lockert bekanntlich die Zunge und so kamen sich bei einigen Flaschen Roten Heinz und seine französischen Mitarbeiter näher. Der Deutsche nahm dabei wohl kein Blatt vor den Mund, was seine politische Einstellung betraf. Im April 1946 bezeugten jedenfalls Gaston Joffrin, nach dem Krieg Sportredakteur der kommunistischen Zeitung 'Liberté' und Marcel Peltier,  Panzerkommandant der französischern Armee nach der Befreiung, Heinz antifaschistische Einstellung. Joffrin schrieb (siehe Faximile), er habe ihm Ende Mai 1944 bei dessen Flucht vor der Gestapo aus Lille geholfen. Laut Peltier habe Heinz ihm Sondergenehmigungen für Nutzung der Firmenwagen erteilt, wohlwissend, dass damit nicht nur Schwarzmarktware sondern auch Waffen und anderes Material für die Resistance transportiert worden seien. Außerdem habe er Peltier durch seinen Einsatz geholfen, nach dessen Verhaftung durch die Gestapo aus dem Gefängnis zu kommen.       

 Dokument:    

Lille 22. April 1946

ARAC Lille Stempel – Association Republicains des Anciens Combattants (1917 gegründete linke Veteranen – u. a. von Henri Barbusse)



Übersetzung der Briefe Joffrins und Peltiers, an den britischen Presseoffizier Captain H.A. Hetherington in Hamburg:
 
Ich, Joffrin Marius Gaston, geboren am 13. März 1889 in Treyes (Aube), Kriegsinvalide 1914-1918, bestätige, dass Herr Henri Ressing, der meine kommunistische Einstellung kannte, mir im Mai 1944 ermöglichte, Lille mit dem Auto zu verlassen, zu einer Zeit, als meine Anwesenheit dort für mich gefährlich wurde. Ich bin Sportjournalist für die Zeitung 'Liberté'. 
 
Marcel Peltier, 22. April 1946: 
Ich wurde von den Deutschen verhaftet und durch Herrn Ressing aus dem Gefängnis geholt. Ich kann sagen, dass Monsieur Ressing mich in allen Fällen immer unterstützt hat. Durch ihn erhielt ich einen Passierschein für die Nacht, den ich für spezielle Missionen verwendet habe, sowie eine Fahrerlaubnis für Autos, die Waffen transportierten.
 

Heinz sieht das zerstörte Hamburg

 

Heinz bekam in Frankreich mehrfach Heimaturlaub, dabei  besuchte er seine Schwester Käthe, die in Straßburg wohnte. In den 90er Jahren erzählte sie, wie sie mit ihren beiden Töchtern in einer großen Wohnung gelebt habe, ihr Mann sei in Russland an der Front gewesen. Er spät habe Käthe  erfahren, dass ihre Wohnung zuvor einer jüdischen Familie gehört hatte. Sie waren in ein Vernichtungslager deportiert worden - Käthe schämte sich deshalb noch als alte Frau. Heinz Mutter Frieda lebte damals in Hamburg und er bekam im Sommer 1943 Sonderurlaub, nach den schweren Bombenangriffen auf die Stadt. Er habe auf dem Dach eines Hauses in der Innenstadt gestadnen und das Inferno gesehen - erzählte Heinz später. Seine Mutter hatte überlebt und war zur Tochter nach Straßburg gezogen.
 
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944, brach die Fronte zusammen und die Allierten befreiten Frankreich schnell. Im September muss sich auch die Propagandakompanie hastig ins nordwestliche Holland zurückziehen. Heinz musste sich schnell von Fernande verabschieden, hatte wohl überlegt unterzutauchen, aber es war zu gefährlich. Dabei entkamen er und seine Truppe
Heinz (Sonnenbrille), Apeldoorn 1945
nur um Haaresbreite den blutigen Kämpfen um Nimwegen und Arnheim, nach der Landung alliierter Fallschirmjäger (17. bis 27.September 1944). Heinz kam Mitte September erneut zur Ersatzkompanie nach Potsdam, wahrscheinlich als Ausbilder neuer Soldaten für die Propagandakompanien. Danach durfte er kurz seine Mutter in Erfurt besuchen - und erlebte die Ardennen-Offensive nur aus der Ferne. Im Februar 1945 wurde er mit seiner Einheit nach niederländisch Friesland bei Groningen verlegt. Die Zivilbevölkerung litt dort bis zur deutschen Kapitulation am 8. Mai 1954 entsetzlich. Viele Zivilisten verhungerten - und das nicht nur wegen des allgemeinen Mangels - die Deutschen wollten sie dafür bestrafen, dass sie die Alliierten 1944 bejubelt hatten. Heinz war als Chefredakteur für die Soldatenzeitung "Die Pranke" zuständig, in der Durchhalteparolen Soldaten die Stimmung heben sollten. Laut Soldbuch erhielt er am 1. April 1945 in Apeldoorn seine letzte Soldzahlung in 'Feindesland' - 61 Reichsmark. Zwei Wochen später wurde Apeldoorn befreit. 
 
Ausgabe 1. April 1945

 

 
'Feldwebel' Ressing (rechts)
Bei seinem Einsatz in kam es dazu, dass Heinz das erste und einzige mal im Krieg geschossen hat. Seine Einheit kampierte, verteilt auf mehrere Bauernhöfen, man besuchte sich Abends zu feuchtfröhlichen Gelagen. In einer Nacht lief er nach einem dieser 'Spätschoppemn' zurück mti seinem Fahrer zum Quartier, als sie im Dunkeln Soldaten wahrnahmen - Freund oder Feind? Die Front war nur wenige Kilometer entfernt, sie sprangen in den Straßengraben, Heinz zog seine Pistole und schoss in die Luft. Sein Fahrer lief los, um Verstärkung zu holen, als er mit einem Trupp zurückkam, stellte sich heraus, ihr 'Gegner' waren junge Rekruten, die eine Nachtübung abhielten. Das erste und einzige mal nutzte Heinz seinen Rang als Feldewebel und 'schiss' den sie kommandierenden Unteroffizier zusammen. 
 
Nachdem die britischen Truppen den Rhein bei Wesel überschritten hatt, zog sich seine Einheit fluchtartig über das Emsland und Oldenburg bis nach Mecklenburg zurück. Von dort wurde Heinz Anfang Mai 1945 nach Hamburg beordert.
 
Den Kontakt zu Fernande hatte er seit September 1944 verloren. Sie blieb mit ihrer Mutter in Lille, laut französischem Meldegregister waren beide 1946 wieder in Saint Benin gemeldet. Vielleicht ersparte ihr der Ortswechsel die Demütigungen, die viele Französinnen nach der Befreiung erleiden mussten, die mit deutschen Besatzungsoldaten liiert gewesen waren. Oft wurden diese öffentlich zur Schau gestellt, ihre Haare umringt von gehässig lachenden Zuschauern mit stumpfen Scheren abgeschnitten. Es kam auch zu Vergewaltigungen, manche wurden ermordet - die Rache wurde oft von denen ausgeübt, die zuvor kolaboriert hatten.