Sonntag, 1. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familie Teil VIII


Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

 

„Machtergreifung“ - Anpassung 

 

Heinz und Käthe 1930er Jahre
Bisher hatte es Heinz geschafft, dass die Familie in Gronau wenig von seinen Aktivitäten in Hamburg mitbekam - nur seine Schwester Käthe als seine Vertraute wusste mehr. Dies änderte sich, als er 1932 in Hamburg in eine Saalschlacht zwischen Kommunisten, Nazis und der Polizei geriet. An der Universität sollte es ein Streitgespräch über Wirtschaftspolitik zwischen Vertretern der KPD und der NSDAP geben. Vor Beginn war der Saal übervoll mit Anhängern beider Parteien - die Stimmung war Explosiv. "Es kam gar nicht zur Debatte, jemand brüllte in den Saal 'Kommune' und schon gingen die Kontrahenten mit Stuhlbeinen und anderen Schlagwerkzeugen aufeinander los", schilderte Heinz die Situation. Dabei hätten sich die Kommunisten an der Fensterfront des Saales im Erdgeschoss schlecht postiert. Auf das Signal einer Trillerpfeife stürmten Beamte den Saal und kamen auch durch die Fenster, Nazis und Polizei nahmen die Kommunisten in die Zange. Heinz gelang es trotzdem, unbeschadet zu entkommen - wie Vater Heinrich davon Gronau erfuhr, ist unklar. Er stellte jedenfalls Heinz ein Ultimatum: Entweder Hamburg verlassen, oder kein Geld mehr bekommen.

Vielleicht war Heinz vielleicht ganz froh darüber, das 'heiße Pflaster' Hamburg hinter sich zu lassen. Er zog nach Frankfurt am Main und arbeitete dort als kaufmännischer Volontär bei einer Firma für Telefonbau und Notrufanlagen. Daneben besuchte er an der Universität Frankfurt Seminare, um doch noch einen Abschluss zu erreichen. Auch hier gaben im Herbst 1932 bereits die Nazis den Ton an. Dabei regierte ein liberaler Bürgermeister die Stadt mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands. Ende 1932 erhielt die NSDAP bei den Reichstagswahlen hier 33,5% aller Stimmen. Frankfurt hatte eine lange antisemitische Vergangenheit, so vermietete seit 1895 das bekannte Hotel 'Kölner Hof' keine Zimmer an Juden - man warb sogar damit, "Judenfrei" zu sein.
 

Hitler wird Reichskanzler - Heinz tritt in die SA ein


Nach seiner Ankunft im Herbst 1932, nahm Heinz Kontakt zur KPD in der Mainmetorpole auf. Bereits zu dieser Zeit diskutierte man über Arbeit in der Illegalität wie auch die mögliche Unterwanderung einiger Nazi-Organisationen. Am Abend des 30.Januar 1933 besuchte Heinz zusammen mit Freunden eine Agit-Prop-Veranstaltung in einem Frankfurter Theater. Als sie nach dem Ende auf die Straße kamen, riefen die Zeitungsjungen an den Straßenecken ihre Extrablätter aus: „Hitler ist Reichskanzler!“ Der Schock war für Heinz und seine Genossen groß, eigentlich hatte man erwartet, dass die NSDAP nach Verlusten bei der Reichstagswahl 1932 an Einfluss verlieren würden - und nun waren sie an der Macht.

Am nächsten Tag warnten ihn Kollegen im Betrieb: "Halt lieber deinen Mund wenn es um Politik geht!". Heinz hatte sich oft abfällig über die Nazis und die SA geäußert. Rücklblickend schrieb Heinz, sein KPD-Kontaktmann habe ihm gesagt: "Versuche in die SA reinzugehen, dann kriegst Du nämlich Waffen, und wir brauchen welche." Er trat in die  Nationalsozialistische Betriebsorganisation (NSBO) seiner Firma ein und wurde nache iner 'Anwärterzeit' in den Frankfrurter SA-Pioniersturm aufgenommen. Er bekam eine belgische Pistole für 25 Mark und das Recht, Uniform zu tragen. Damals gehörte Frankfurt zur entmilitarisierten Zone, es durfte dort keine Reichwehr stationiert werden. So wurden zwischen Februar und August 1933 die SA-Leute zur Hilfspolizisten ernannt. Ob und zu welchen Anlässen er Uniform getragen hat – Heinz hat darüber nie gesprochen, er meinte nur "Ich bin dort fünf- oder sechsmal gewesen." 
 
Die KPD und ihre Organisationen wurden reichsweit nach wenigen Monaten zerschlagen, viele Mitglieder in die 'wilden' Konzentrationslager der SA verschleppt, dort gequält und umgebracht. Am 1. April 1933 gab es den ersten staatlichen Angriff auf die Juden im Reich, organisiert von SA und SS, aber auch viele 'Normalbürger' beteiligten sich. Unter dem Kampfruf: „Deutsche wehrt Euch - Kauft nicht bei Juden!“ wurde zum Boykott ihrer Geschäfte aufgerufen. Ob und wie Heinz in Frankfurt beteiligt war ist unbekannt. Er hielt aber immerhin noch Kontakt zu dem KPD-Kontaktmann, Eberhard Schütz, der im September 1933 von der Gestapo verhaftet wurde. Man ließ ihn nach kurzer Zeit wieder frei, die Gestapo hoffte, so an seine Genossen im Untergrund zu kommen. Schütz fuhr jedoch sirekt vom Gefängnis zum Frankfurter Hauptbahnhof, wo ihm seine Mutter den Reisepass brachte. So entkam er den Nazis, arbeitete während des Krieges in London für das deutsche BBC-Radioprogramm. Bekannt wurde seine Stimme den Hörern mit der Ankündigung: „Hier ist England! Hier ist England!“ Nach dem Krieg wurde Schütz in Hamburg Programmchef beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR). Er wechselte danachzum RIAS nach Berlin und später zum SFB. 
 

Heinz fürchtete nach der Verhaftung seines KPD-Kontakmanns, das seine Verbindungen in Frankfurt der Gestapo bekannt waren. Er wusste nicht, was Schütz nach der Verhaftung ausgesagt hatte und in seiner Frankfurter Dachkammer lagerte ein großer Überseekoffer. Darin befanden sich massenweise kommunistische Flugblätter und ein Druckapparat. Außerdem enthielt er eine KPD-Fahne, Parteiunterlagen sowie zwei Pistolen. Es musste etwas geschehen, aber wer konnte Heinz helfen? Er erinnerte er sich an ein junges Mädchen, das er mit ihrem Bruder auf einer KPD-Veranstaltung kennengelernt hatte. Er verabredete sich mit ihr und erzählte ihr vom Koffer, das bedeutete ein großes Risiko, sie hätte ja ein Nazi-Spitzel sein können. Heinz hatte Glück, wenige Tage später meldete sie sich bei ihm und gab die Anweisung, er sollte den Koffer mit einem Taxi zu einer bestimmten Adresse im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen bringen. Die Aktion gelang. 
 
Heinz wurde der Boden in Frankfurt zu heiß, er kündigte in seinem Betrieb und wollte nach Frankreich. In Marseille lebte damals eine Schulfreundin und Heinz kaufte sich von seinem letzten Geld am Frankfurter Bahnhof eine Fahrkarte. Damit kam er aber nur bis zur Reichsgrenze in Kehl am Rhein, die französischen Zöllner stellten bei der Kontrolle fest, dass sein Visum vor einem Monat abgelaufen war und verweigerten ihm die Einreise. Verzweifelt und ohne Geld rief er mit den letzten Groschen seinen Vater in Gronau an. Er schickte seinem Sohn ohne große Nachfragen das Fahrgeld und Heinz kehrte nach Hause zurück. 
 

Hausdurchsuchung in Gronau - Die Familie zerfällt


Gronau erwacht.....
Auch in Gronau mit seinen 17 500 Einwohnern übernahmen die Nazis die 'Macht'. Dabei hatte sich die NSDAP Ortsgruppe der Stadt bis zum 30. Januar 1933 nicht besonders hervorgetan. Jetzt an der Macht wurde in Gronau der 'Alte Markt' in 'Horst Wessel Platz' umbenannt, eine Hauptstrasse nach Adolf Hitler benannt wie auch Goebbels, Göring und Ley. Einige Zeit nach Heinz Rückkehr klingelte es früh am Morgen an der Tür der Familie Ressing. Ein Polizeikommissar mit Namen Wiora zeigte seine Marke und teilte dem Sparkassendirektor mit, Hausdurchsuchung vornehmen zu müssen. Wiora war Beamter der örtlichen Kriminalpolizei, erst später wurde auch in Gronau eine Gestapo-Stelle eingerichtet. Dem Kommissar war die Angelegenheit sichtlich peinlich, die Ressings gehörten schließlich zu den besseren Kreisen. Wiora verließ vor Beginn der Durchsuchung die Wohnung, um Zigaretten zu kaufen. Dabei ließ er die Akte auf dem Wohnzimmertisch liegen. Nach kurzem Nachdenken schaute Heinz hinein: „Im Zusammenhang mit dem Hochverratsverfahren gegen die Gruppe Schütz“. Sie hatten also herausbekommen, dass er etwas mit ihm und der KPD  zu tun hatte. Die Durchsuchung brachte nicht viel, drei von den Nazis verbotene Bücher wurden beschlagnahmt - das war alles.
Heinz half dem Beamten sogar bei der Formulierung des Durchsuchungs-Protokolls. Während der Polizist sein Zimmer inspizierte, saß die achtzehnjährige Schwester Käthe auf dem Bett ihres Bruders. Mit ihren langen Zöpfen und kindlich-treuherzigem Blick ga sie sich naiv, dabei lag unter ihr eine geladene Pistole - ob es Heinz SA-Waffe oder eine aus dem KPD-Koffer war, ist unklar. Er kam jedenfalls mit einem blauen Auge davon, nach der Vernehmung in Anwesenheit von Bürgermeister Dr.Otto Jansen - wurde das Verfahren gegen Heinz eingestellt.

Sparkasse unterm Hakenkreuz
 
Die Machthaber hatten Heinrich Ressing aus dem Beamtenstand entfernt, man beschuldigte ihn, Geld der Sparkasse unterschlagen zu haben. In der Familie vermutete man aber, er habe der Karriere eines NS-Parteigenossen im Wege gestanden. Heinrich wurde jedenfalls verhaftet, angeklagt und vom Gericht verurteilt. Er hatte unerlaubt Geld aus dem Kassenschrank seiner Filiale des Westfälisch-Lippischen Sparkassen- und Giroverbandes Münster genommen. Bevor er die Summe zurücklegen konnte, war der Vorgang bei einer überraschenden Revision aufgeflogen. Heinrich kam sechs Monate in eines der Konzentrationslager im Emsland - Unterlagen über Prozess und Urteil habe ich nicht finden können.
 
Heinrich Ende der 30er Jahre
Die Verurteilung und Inhaftierung wegen Betrugs bedeutete für
die Familie in der Kleinstadt das gesellschaftliche Aus. Aber nicht nur deshalb zerbrach die Familie, ausserheliche Eskapaden des Vaters dürften auch eine Rolle gespielt haben. Heinrich kehrte jedenfalls nach Haftverbüssung nicht zur Familie zurück. Jetzt musste Heinz Geld verdienen, um seine Mutter und die Schwester durchzubringen. Was sollte er tun? Er besann sich auf Verwandte in Hamburg, kannte die Stadt außerdem von seiner Studentenzeit. Er bestieg sein sein Fahrrad und fuhr von Gronau bis an die Elbe.



Heinz wird Reporter beim 'Hamburger Anzeiger'

 

Das NS-Regime hatte sich etabliert, saß fest im Sattel der Macht. Tausende Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Nazigegner saßen in den Konzentrationslagern. Die Hoffnung, Hitler würde bald stürzen und die proletarischen Revolution folgen, erwies sich als falsch. Viele NS-Gegner zogen sich ins Privatleben zurück oder arrangierten sich. Im Jahr 1947 erklärte Heinz bei seiner Entnazifizierung, er habe nach 1933 eine „immer stärkere Abneigung gegen autoritäre Methoden“ entwickelt und sei politisch nicht mehr aktiv gewesen. Trotzdem habe er versucht, Verfolgten zu helfen, so etwa 1935 mit einer Aussage für einen Angeklagten in einem „Trotzkistenprozess“ - einen Beleg dafür konnte ich in Archiven dazu nicht finden. 

Willi Phieler Winter-Olympiade 1936 Garmisch
Wollte er als Journalist arbeiten, war Anpassung angesagt. In Hamburg ging Heinz zu seinem Vetter Dr.Willi Phieler, NSDAP Mitglied und Sportreporter beim „Hamburger Anzeiger“. Er nahm sich Heinz an und brachte ihn mit einem „Alt-Parteigenossen“ zusammen, der dort ebenfalls als Redakteur arbeitete. Dieser nannte Heinz linke Vergangenheit: „Kinderkram“ und versprach ihm zu helfen. Nach dem Krieg schrieb Heinz, dieser Alt-PG habe zum 'linken Flügel' der NSDAP um die Strasser-Brüder gehört.
 
Heinz 1937 Springtournier Klein Flottbek
 
Heinz nahm sich ein Zimmer in der Grindelallee 137, in der Nähe der Universität, wo er einst als Student gelebt hatte. Später zog er nach Alsterdorf in die Alsterdorfer Strasse 37c. Seine Loyalität zum neuen System wollte er wohl damit beweisen, dass er in Hamburg der SA-Standarte 464, Sturm 5/464 Pi (Pioniere) beitrat. Dazu dürfte ihm sicherlich auch Vetter Willi geraten haben, der als Sportreporter bei der Tageszeitung arbeitete. Er stellte Heinz am Bußtag 1933 Peter Glahn, dessen späterem Chef beim 'Hamburger Anzeiger' vor. Sie trafen sich auf der Trabrennbahn in Farmsen und "damit begann einige Tage später meine Laufbahn als Lokalreporter am Gänsemarkt“. In dem damals zehn Jahre älteren Glahn, gewann Heinz einen väterlichen Freund, der ihm das Rüstzeug zum Journalismus beibrachte.

Heinz SA-Mitgliedschaft fand mit dem sogenannten „Röhm-Putsch“ ein Ende. Zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1934 entledigte sich Hitler durch SS-Mordkommandos seiner innerparteilichen Konkurrenten - dem Massaker fielen reichsweit etwa 200 Menschen zum Opfer. Die SA wurde politisch und militärisch entmachtet und tausende Mitglieder aus der 'Partei-Armee' entlassen - darunter auch Heinz. In der Bescheinigung vom November 1934 heißt es, der SA-Mann  Ressing sei: „ordnungsgemäß aus der SA wegen Verringerung der SA entlassen“ worden.
Im Jahr 1947 betonte Heinz in seinem Entnazifizierungs-Verfahren, er habe damals in der Redaktion als politisch Unzuverlässig gegolten und sei bis zum Kriegsbeginn von der Gestapo überwacht worden.

Ab Herbst 1933 arbeitete Heinz als Lokalreporter beim 'Hamburger Anzeiger', der damals größten Tageszeitung der Hansestadt. Mitglied der NSDAP wurde er nie, auch trat er keiner andere NS-Organisation bei. Am 22. September 1933 hatte Josef Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, das Gesetz über die Reichskulturkammer verkündet. Am 4.Oktober folgte das Schriftleitergesetz, das die Zulassung zu journalistischen Tätigkeit regelte. Jeder Journalist musste Mitglied der Reichspressekammer sein, dazu waren politische Zuverlässigkeit und arische Abstammung durch 'Ariernachweis' verpflichtend. In der Folge bekamen etwa 1300 Journalisten im Reich ein Berufsverbot – rund zehn Prozent des Berufsstandes. Einige Zeitungen wurden in der Folge eingestellt – etwa die traditionsreiche „Vossische Zeitung“. Andererseits eröffneten sich Karrierechancen und Aufstiegsmöglichkeiten in den Redaktionen. Goebbels erkannte, dass der  'Aderlass' an ausgebildeten Journalisten immens war. Da sein Ministerium durch Zensur und tägliche Anweisungen die politische Berichterstattung aller Zeitungen im Reich kontrollierte - entschied er, dass nicht jeder Journalist auch Parteimitglied werden musste. 
Heinz 'Ariernachweis' März 1937

 
Heinz arbeitete als Lokalteporter und berichtete vorwiegend über „bunte“ Themen, Sport und Kultur. Da er sich immer für Film interessiert hatte, verfasste er auch Kritiken für den Film-Kurier und die Kölnische Zeitung. 
 
Damals waren Journalisten, wie heute, immer auf der 'Jagd' nach spektakulären Geschichten, die Zeitungen erschienen oft mit mehreren Ausgaben am Tag. Einem Kollegen gelang ein spektaulärer Scoop: Im Hafen lief ein Passagierschiff aus New York ein, an Bord ein von den US-Behörden ausgewiesener Mafia-Boss. Er durfte aber in Europa nirgendwo an Land gehen, ein Redakteur des "Hamburger Anzeigers" hatte früher als Schiffsoffizier gearbeitet. Er zog sich seine alte Uniform an, gelangte so auf das Schiff und konnte als einziger europäischer Journalist den Mobster interviewen. Ähnliches Glück hatte im Herbst 1937 ein Kollege, der bei einem Besuch des Reeperbahn-Amüsierlokals „Zillertal“ bemerkte, dass die Empore für Publikum gesperrt war. Dort saßen nur ein paar Männer und folgten amüsiert dem Treiben im Saal, ein Zuschauer spendierte der Kapelle eine Runde Bier. Damals war es üblich, dass dann der spendabler Gast die Kapelle dirigieren durfte. Der elegant gekleidete Herr 'enterte' das Dirigenten-Podest und die Kapelle begann unter seiner Leitung einen schmissiger Militärmarsch. Der 'Dirigent' war niemand geringeres als der abgedankte britische König Eduard VIII - nunmehr Herzog von Windsor. Er befand sich auf einer Deutschlandreise, bei der er auch Hitler getroffen hatte. Heute weiß man, dass er und seine Frau Sympathisanten des Nazi-Regimes waren.

Heinz wurde schnell klar, dass viele seiner Kollegen in der Redaktion keine überzeugten Nazis waren. Die meisten hatten hier schon vor 1933 gearbeitet und passten sich den neuen Bedingungen an. Was politisch berichtet werden sollte, wurde sowieso täglich allen Zeitungen im Reich durch Goebbels Ministerium vorgegeben. Neue Aufgaben kamen auf die Redaktion durch das Groß-Hamburg-Gesetz vom April 1937 zu. Das Stadt- und damit Berichtsgebiet wurde soum die einstigen preußischen Gemeinden: Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg und weitere 28 Orte deutlich vergrößert.
 
Am 9. November 1938 brannte in Hamburg die Synagoge unweit der Talmud-Tora-Schule - die Ruine wurde erst 1939 abgerissen. Heinz hat nie darüber gesprochen, wie er diesen Tag erlebt hat. Er kümmerte sich um seine Mutter und Schwester, die aus Gronau nach Hamburg gekommen waren und verdiente sein Geld als Lokal- und Sportreporter. Er schrieb daneben Filmkritiken für die Zeitschrift „Der Film – Heute und Morgen.“ Damals bekam er ein Alkoholproblem - typische 'Berufskrankheit' vieler Journalisten. Er erzählte davon, wie er auf einer Pressekonferenz einer Delegation aus Japan bereits am frühen Vormittag mit Sake-Reiswein abgefüllt worden sei. Der 25-Jährige wollte endlich sein Leben genießen, bereiste bis 1937 per Anhalter oder Fahrrad Großbritannien, die Schweiz, Frankreich und die Niederlande und kaufte sich später ein Auto: Marke Adler. Das Thema Emigration war nicht mehr akut – es ging ihm wirtschaftlich gut und er musste sich um die Famlie kümmern - politisch ließ man ihn in Ruhe. 
 
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Heinz widmete sich dem Privatleben und dazu gehörten Frauen. Er war mit Gretel Schaub, der Tochter eines Dirigenten und Musikers, bekannt - Ende der 1930er heirateten sie. Die Ehe wurde unter seltsamen Umständen geschlossen, erzählte später seine Schwester Käthe. Gretel war unglücklich in einen Kollegen von Heinz verliebt, um sie zu trösten, meinte er zu ihr: „Dann nimm doch einfach mich!“ Dabei hätte Gretels Mutter lieber ihre zweite Tochter mit Heinz verkuppelt. Er wohnte
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damals in der Rothenbaumchaussee 105 und fragte Gretel, was sie sich zum Geburtstag wünsche. Sie antwortete: „Die Scheidung"
und so wurden sie am 13.Juli 1940 wieder geschieden - man trennte sich in Freundschaft. während des Überfalls auf die Sowjetunion hatte Heinz im Herbst 1941 eine Panne auf einer russischen Rollbahn. Ein entgegenkommender Kübelwagen hielt, um zu helfen. Aus ihm stieg der einstige Kollege, in den Gretel so  unglücklich verliebt gewesen war. Beide Männer fuhren gemeinsam ein Stück und Heinz erfuhr von ihm, dass er jetzt Gretel gerheiratet hatte.

Nach Kriegsende musste Heinz in Hamburg den zwölfseitigen Fragebogen über eine Zugehörigkeit zu NS-Organisationen bzw. Verstrickung in das Nazi-System beantworten: 








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