Vorbemerkung:
Alles
was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen
erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor
allem,
wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle
Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten
ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu
illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein
Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges.
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verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial.
Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.
Wilde
Zeiten in Hamburg 1932
Trotz Magengeschwüren hatte Heinz 1931 das Abitur
geschafft und wollte nun das provinzielle Gronau und die beengende
Familie hinter sich lassen. Ihn zog es in die Großstadt Hamburg, die mit über einer Million Einwohnern nach Berlin die Nummer Zwei in Deutschland war. Heinz wollte in der neu gegründeten Universität der Hansestadt Volkswirtschaft studieren. Er kam in eine Stadt, auf der seit zwei Jahren die Folgen der Weltwirtschaftskrise lasteten. Dabei hatte sich Hamburg davor erst langsam von den Folgen des Ersten Weltkrieges erholen können. Die Seeblockade der Entente zwischen 1914 und 1919 hatte den Hafen und damit die Wirtschaft lahmgelegt. Anfang der 1930er Jahre waren in Hamburg, zu dem damals weder Altona, Willhelmsburg.
Wandsbek noch Bergedorf gehörten, mehr als 133.000 Menschen Arbeitslos. Nimmt man dazu die nicht gemeldeten Menschen ohne Beschäftigung, waren über 200.000 HamburgerInnen ohe Beschäftigung. Elend und Not waren in den Arbeiterquartieren deutlich sichtbar, etwa im Gängeviertel am Hafen. Bei den Wahlen zur hamburgischen Bürgerschaft am 24. April 1932 wurde die NSDAP mit 31,2% stärkste Partei, gefolgt von SPD (30%) und Kommunisten (16%). Das bürgerliche Hamburg und ihr Bürgermeister Carl Petersen (Staatspartei)
waren schockiert. Am 17.Juli 1932 kam es zum 'Altonaer Blutsonntag' - damals war Altona eigenständig und gehörte zu Preussen. Bei einem SA-Marsch durch das 'rote' Altona wurden bei Protesten 18 Menschen getötet - der größte Teil durch Polizeikugeln. |
Arbeiterhäuser Ottensen 2019
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Heinz begann inmitten der chaotischen Zeit im
Winter 1931 sein Studium und da auch die Ressings unter den Folgen der Wirtschaftskrise zu
leiden hatten, konnte Vater Heinrich seinem Sohn monatlich nur einen Wechsel
über 110 Reichsmark zusichern - aber das reichte zum Leben. Davon musste Heinz seine Unterkunft, den Lebensunterhalt
und die Studiengebühren bezahlen. Eine kleine Wohnung in einem
Arbeiterviertel kostete monatlich 25 Reichsmark - Arbeitslose erhielten monatlich 54 Reichsmark Unterstützung. Heinz ging es im Vergleich damit noch gut, trotzdem musste er schnell seinen akademischen Abschluss erreichen. Aus diesem Grund entschied er sich für Volkswirtschaft, den das Studium konnte er bereits nach sechs Semestern abschließen.
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2019 |
Heinz zog zur Untermiete bei einem jüdischen
Handwerker und seiner Familie ein. Er wohnte nahe der Universität in der Straße „Rutschbahn“ - so heißt sie heute noch. Für Kost und Logis
musste er an seinen Herbergsvater monatlich zehn Reichsmark zahlen. Seine Vermietern waren ziemlich liberal, denn sie drückten bei nächtlichen Damenbesuchen ihres Untermieter, beide Augen zu - immerhin gab es damals den „Kuppeleiparagraphen“ (§180
Strafgesetzbuch), der die Förderung der Unzucht auch für Vermieter unter Strafe stellte. Heinz
hatte Glück, morgens fand er für seinen weiblichen „Schlafgast“ immer einenTeller und eine Tasse vor seiner Zimmertür.
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Talmud Tora Schule 2019
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Das Viertel um die 'Rutschbahn' war damals von kleinen Handwerkern und Arbeitern geprägt und seit Anfang des 19.Jahrhunderts Zentrum des jüdischen Lebens der Hansestadt. Hier befand sich die Talmud-Tora Schule und daneben eine große Synagoge - die im November 1938 in der 'Reichspogromnacht' angezündet wurde. Heinz fühlte sich in dem quirligen Viertel wohl und vor allem waren es von hier aus nur wenige Schritte zur Universität.
Die Universität wurde im März 1919 gegründet und war damit die erste demokratisch errichtete Hochschule in Deutschland. Gründungsrektor war der Volkswirt Dr.Karl Rathgen.
Das die alten 'Werte' des Kaiserreichs aber auch in der Republik nicht verschwunden waren, zeigt das hier 1921 neben dem Hauptgebäude errichtete Wissmann-Denkmal. Es war dem einstigen Gouverneur der Kolonie Deutsch-Ostafrika gewidmet. Nach 1933 galt es landesweit als das Symbol kolonialer Träume in Deutschland. Erst 1968 ertfernten Studenten das rassistische Objekt - heute lagert es irgendwo in einem Archiv der Hansestadt.
Heinz mischt sich ein sich....
Im April 1931 zählte, laut politischer Polizei der Hansestadt, der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund etwa 50
Aktive. Bei den Wahlen zum Studentenparlament kamen die Nazis Ende 1931 auf immerhin 38% der abgegebenen Stimmen. Heinz begann in diesem Herbst das Studium und |
Heinz 1982 - Ausstellung Arbeiterkultur 1930 |
tauchte in die politische- und kulturelle Szene der Großstadt ein. Vor allem das boomende Massenmedium Kino zog ihn in seinen Bann. In seiner Freizeit ging er zu Veranstal- tungen, so zu einem Vortrag des sowje- tischen Volks-kommissars für Erziehung, Andrej Bubnow. Heinz nahm auch an Treffen der „Roten
Hilfe“ teil. Diese Organisation unterstützte politisch und juristisch verfolgte Linke - national wie international. Gesteuert wurde die formell unabhängige Organisation von der KPD
und folgte damit den Direktiven aus Moskau. Für den jungen Studenten aus der Provinz bot sich hier die Möglichkeit, etwas über andere Länder zu erfahren. Besonders interessiert an politscher Theorie oder ideologischen Diskursen war Heinz nicht, ihn faszinierten vielmehr charismatische Persönlichkeiten wie etwa der von Stalin aus Russland verbannte Leo Trotzki.
Damals traten bei Demonstrationen und linken Veranstaltungen auch in Hamburg Agit-Pop-Theater - „Proletarische Bühnen“ auf.
Eine diser Gruppen waren „Die Nieter“, Laiendarsteller, geleitet von einem professionellen
Schauspieler. Auf einer Veranstaltung der „Roten Hilfe“ über Rassismus in den USA sah sie Heinz zum ersten Mal und war fasziniert. Er schloss sich danach an der Universtität der „Roten
Studentengruppe“ an und wurde Aktiv bei den Nietern. Diese Zeit beschrieb Heinz 1942:
„Das war in Hamburg – Hamburg das „rot“
bleiben sollte – in den ersten Monaten des Jahres 1932. Ein junger Mensch,
gerade hatte er sein Abitur gebaut, kam aus der kleinen Stadt Westfalens in die
Hanse-Metropole. Die Zeiten waren schwer. Arbeitslose gab es, Erwerbslose noch
mehr. Der Wechsel des jungen Studenten war mehr als knapp bemessen. In den
Wandelgängen der Universität an der Edmund-Siemers-Allee hingen die schwarzen
Bretter der verschiedensten Verenigungen: da fand man die Verbindungen des
Kösener SC, die Turner und Sändgerschaften, da fand man die politischen
Vereinigungen – Stahlhelm, republikanischer Studentenbund, Rote
Studentengruppe, die nationalsozialistischen Studierenden, die
Arbeitsgemeinschaft demokratischer Studenten. Die innerpolitische Zerrissenheit
des deutschen Volkes konnte nicht besser demonstriert werden, als durch diese
Wandelhalle mit ihren Anschlagbrettern: vom Christlichen Verein junger Männer
bis zur Jugendgruppe des Centralverbandes deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens war alles vertreten.
Am Brett der „Roten“ hing ein Zettel,
Werbeveranstaltung des „Bundes der Freunde der Sowjetunion“ nannte sich der
Abend, der dort angekündigt war. Johanna Haß würde über ihren viermonatigen
Aufenthalt im Lande der Sowjets sprechen. Der junge Mann aus Westfalen nahm
sich vor, an diesem Abend den „Aktivisten des Sozialismus“ (so bildete er
sich´s ein) einen Besuch zu machen.
Die Luft im Coventgarden* [siehe Anmerkung am
Ende des Blogs] an der Fuhlentwiete
war stickig, zum schneiden. Ein langer Tisch mit Schriften stand am Eingang.
Der kleine Saal im ersten Stock lag in dämmriger Beleuchtung. Am Rednerpult
stand ein noch junges Mädchen in kurzem Rock, einfacher Bluse, Das war sie also
– die Johanna Haß, die ihr „letztes Semester“ in Moskau studiert hatte. Was sie
erzählte, war ein einziger Lobgesang auf das „Sechstel der Erde, in dem der
Sozialismus bereits seine Verwirklichung fand“. Sie sprach gut, leicht fasslich
und mit Leidenschaft. Dennoch aber klang der Beifall ein wenig matt, als sie
geendet hatte. Die Debatte wurde an das Ende dieses Abends verlegt, vorher
würden die „Nieter“ auftreten – eine rote Laienspieltruppe.
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Quelle***
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Und dann war plötzlich die rauchige
Atmosphäre wie
weggeblasen: in abgehacktem Rhythmus, schlagkräftig formulierten
Parolen, mit billigen, primitiven Mitteln warben diese Jungen und Mädchen für
ihre Idee“.. Der junge Mann aus Westfalen war begeistert, ließ sich willig in
den Bann dieser Agitation ziehen, berauschte sich an den vorgetragenen Phrasen
von Sozialismus, Freiheit der arbeitenden Klasse und vom Paradies aller
Werktätigen. Sie sangen ein Lied da oben auf de Bühne, das am Schluß einer
jeden Strophe mit den Worten: „Wir schützen die Sowjetunion“ endete.
Als der Abend sein Ende fand,
unterzeichnete dieser junge Mann einen Aufnahmeschein in die Rote
Studentengruppe (die angeblich eine überparteiliche Sammlung aller
sozialistisch gerichteten Studierenden sein sollte), Moskau gewann an diesem
Abend einen neuen „Rekruten“. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, bis aus
diesem Rekruten ein „brauchbarer Soldat der Weltrevolution“ geworden war.“ **
Er kam nach dem Auftritt der „Nieter“ mit den Akteuren ins Gespräch, besuchte sie in ihrem Proberaum im damals 'roten' Barmbek. Er durfte mitmachen, trotz nichtproletarischer Herkunft, im Gegensatz zu den anderen Darstellern war er "so schön
bürgerlich", meinte Heinz später. Vor allem konnte er schriftreines Hochdeutsch und so musste er in Aufführungen den
Part des bourgeoisen Staatsanwalts spielen, der die aufrechten Proletarier
ins Gefängnis warf.
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Ausgabe 1929
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Das Kino, seit 1927 der Tonfilm,
faszinierte Heinz. Bleibenden Eindruck hinterließ die Uraufführung Eisensteins: „Panzerkreuzer Potemkin" in der Hansestadt. Der Stummfilm wurde 1925
gedreht und ist bis heute wegen seiner Schnittechnik und Dramaturgie berühmt. Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Heinz begeistert an die Szene, in der sich der Geschützturm mit seinen
riesigen Kanonen auf das Publikum dreht. Ende der 1920er Jahre erschienen in Deutschland auch erstmals Romane, die sich realistisch mit den Schrecken des Ersten Weltkriegs befassten. Heinz gelang es, Ausgaben von Ludwig Renn's „Krieg“ und „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque durch das Dritte Reich zu retten.
Auf der Straße nahmen die
Auseinandersetzungen zwischen Rechts und Links in Hamburg, wie im Reich, an Heftigkeit zu. Dabei waren die Fronten nicht immer festgefügt, so wechselten manchmal ganze Gruppen die Seiten. Vor allem in den Organisationen, wie der SA oder dem
Rotfrontkämpferbund der KPD suchte man vor allem Leute für den Straßenkampf. Viele waren Arbeitslos und wechselten oft die 'Fahne' - manchmal abhängig davon, wer ihnen einen Teller Suppe bezahlte. Es kam zu immer mehr zu gewalttätigen Demonstrationen auch in Hamburg. Heinz
erlebte eines Tages einen linken Aufmarsch, in deren Mitte ein uniformierter Zug sogenannter Marine-SA marschierte. Ihre Hakenkreuzfahne hatten sie groß mit weißer Farbe durchgestrichen. Es gab innerhalb der NSDAP damals Konflikte zwischen SA und Parteiführung, im Schlägertrupp gab es zunehmend Kritik am legalistischen Kurs Hitlers, ebenso missfiel den SA-Männern die Zusammenarbeit
mit konservativ-monarchistischen Gruppen.
Die Zeiten waren gefährlich, so stieß Heinz bei einer Plakat-Klebetour mit Genossen auf eine SA Streife. Die Nazis attackierten sie sofort und Heinz beschrieb Jahrzehnte später seine Gegenwehr: „Die Hände über dem Kopf und immer
schön mit den Füßen gegen die Schienbeine treten.“ Sie hatten Glück, denn in diesem Moment sei einer Polizeistreife um die Ecke gekommen - die SA-Männer suchten
das Weite. Für Heinz ging die Sache glimpflich aus – andere hatten
da weniger Glück. Jeden Tag las man über schwer Verletzte und Tote bei ähnlichen Konfrontationen.
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HH-Museum: Kneipe 20er Jahre |
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Eines Tages saß Heinz zum Essen in einem Lokal, ein SA-Mann kam herein und setzte sich zu ihm an den Tisch, da hier ein Platz frei war. Er sah den SAler kurz an und meinte: „Sie sind aber Mutig“.
Auf die Nachfrage, wieso, antwortet Heinz: „Weil ich Jude bin.“ Der SA-Mann
glotzte dumm, sprang dann auf und wechselte den Tisch. Heinz sah damals aus,
wie sich die NS-Ideologie einen arischen Übermenschen vorstellte: Groß und
Blond mit markanten Gesichtszügen. Nach dem 30.Januar 1933 wäre ihm dieser 'Scherz' sicherlich nicht gut bekommen.
* Der
Hamburger Covent Garden wurde 1853 als Veranstaltungszentrum mit Biergarten
gegründet. Hier dirigierten Richard Wagner, Bruno Walter, Richard Tauber gab
Konzerte und Clara Schumann wie Jascha Heifetz traten als Solisten auf. Auch
politische Veranstaltungen fanden hier statt, am 24. Juli 1943 wurde der Covent
Garden bei einem alliierten Luftangriff zerstört. Nach dem Krieg ließ
Axel-Springer hier sein Verlagshaus bauen.
Der Spielfilm "Kuhle Wampe - wem gehört die Welt" von 1932 zeigt den Auftritt einer solchen Agit-Prop-Gruppe (Auf You Tube)
** Bemerkenswert
neutrale Schilderung, wenn man bedenkt, das er sie 1942 als
Mitglied einer Wehrmachts-Propagandakompanie verfasste. Dazu in
einem späteren Blogeintrag mehr.
*** Ausstelungskatalog: Vorwärts und nicht vergessen, Arbeiterkultur in Hamburg 1930 - 1982
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