Sonntag, 8. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil IX

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

'Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen'

 
1939
Heinz war kein Heldentyp und schon gar nicht zum Soldaten geboren. Er war sensibel, schwach, gefülig und liebte die Frauen und den Alkohol. Ein Kämpfer war er ebensowenig, wie eine 'arische Lichtgestalt' - obwohl er blond, groß, mit seinen grauen Augen ideal für die Propaganda hätte posieren können. Er hatte nach 1933 gelernt, sich anzupassen und zu arrangieren, Konflikten ging er lieber aus dem Weg, betäubte Stress und Ängste mit Alkohol.
 
1940 Kaserne Hamburg Bahrenfeld
Anfang 1939 wurde der 26-Jährige zu einer 13-wöchigen Wehrübung eingezogen. Da es in der Weimarer Republik keine Wehrpflicht gegeben hatte, war er nicht militärisch ausgebildet. Hitler hatte den Wehrdienst im Reich erst 1935 wieder eingeführt. Heinz bekam seine militärische Kurzausbildung in Jüterbog beim Nachrichtenbataillon des Infanterieregiments 271. Seine Einheit war erst im September 1939 aufgestellt worden und war Teil der 93.Infanteriedivision. Der Journalist wurde als Funker ausgebildet, konnte danach aber wieder an seinen Schreibtisch in der Redaktion des Hamburger Anzeigers zurückkehren.

 

Etwa einen Monat nach Kriegsbeginn, am 23. September 1939 wurde er im Rang eines Schützen zur Wehrmacht eingezogen. Im Soldbuch mit der Nummer 69, blickt auf dem Foto ein magerer junger Mann mit hoher Stirn, zurückgekämmten Haaren und weichem Mund. Mit angedeutetem Lächeln wirkt er eher müde und nachdenklich. Bald stellte sich heruas, das Heinz nicht fronttauglich war, die bereits während seiner Jugend aufgetretenen Magenbeschwerden hatten sich zu Geschwüren entwickelt. Laut Soldbuch lag er deshalb am 18.Oktober 1939 für mehrere Wochen in verschiedenen Lazaretten. Körperlich und seelisch angeschlagen, war er massiv abgemagert und schrieb einen Brief an seine Schwester Käthe. Die 25-Jährige war, nach Ende ihres
Arbeitsdienst - Käthe war dabei
Arbeitsdienstes Leiterin beim Roten Kreuz und ihr war klar, dass sie sofort handeln musste. Sie zog ihre Dienstkleidung an und fuhr in das Reservelazarett nach Hamburg, in dem Heinz lag. Der Anblick ihres Bruders schockierte sie, der 1,83 Meter große Mann wog gerade noch 50 Kilo. Er erzählte seiner Schwester, er bekomme Bratkartoffeln und Kohl zu essen, was er nicht bei sich behalten könne. Heinz weinte und klagte über sein eiskaltes Krankenzimmer. Käthe sagte dem anwesenden Wehrmachtspfleger, sie würde das Krankenzimmer nicht verlassen, bevor der zuständige Arzt bei ihr erscheine. Er kam und Käthe forderte ihn auf, ihren Bruder umgehend in ein ziviles Hamburger Krankenhaus zu verlegen. Dabei dürfte ihr Position beim Roten Kreuz Wirkung gezeigt haben – jedenfalls kam Heinz ins Krankenhaus nach Hamburg-Barmbek. Die Geschwüre waren aber so fortgeschritten, dass ihm dort der halbe Magen entfernt werden musste.

 

Nach der Magenoperation 1940 
Nach längerem Aufenthalt im Krankenhaus kam Heinz im Frühjahr 1940 in die Propagandakompanie 501 beim Nachrichtenregiment der 16.Armee von Generaloberst Ernst Busch. Heinz wurde nach Trier beordert, man brauchte dort einen Zeitungsredakteur am „Westwall“ für die dort stationierten Einheiten. Während dieser Zeit produzierte er Frontzeitungen für die 16. Armee. Die Propagandaeinheiten der Wehrmacht waren 1938 eingeführt worden, sie unterstanden direkt dem jeweiligen Armeeoberkommando. Bis Ende 1942 waren in der Wehrmacht rund 15.000 Soldaten für die Propagandaeinheiten tätig - immerhin also in Divisionsstärke. Sie unterstanden zwar der jeweiligen Armeeführung, die inhaltlichen Anweisungen erhielten sie jedoch direkt von Goebbels Propagandaministerium aus Berlin. In den PK der Wehrmacht und der Waffen-SS arbeiteten viele Journalisten, die nach 1945 in der Bundesrepublik ihre publizistische Karriere ungehindert fortsetzten können: Karl Holzamer (ZDF-Intendant), Ernst von Khuon (ARD-Wissenschaftsjournalist), Heinz Maegerlein (ArD-Quizzmaster) Henri Nannen (STERN-Chef), Herbert Reinecker (ZDF „Der Kommissar“ und „Derrick“), Jürgen Roland (NDR „Stahlnetz“ und „Großstadtrevier“), Ernst Rowohlt (Verleger), Peter von Zahn (ARD-Journalist, Windrose). 
 

Mit der Propaganda-Kompanie nach Frankreich

 
Westwall bei Trier - Heinz rechts
Heinz wurde wegen seiner guten Französischkenntnisse am „Westwall“ eingesetzt. Dort saßen sich Deutsche und Franzosen in Bunkern und Schützengräben im sogenannten „Sitzkrieg“ gegenüber, von den Franzosen „drole de guerre“ genannt, und ließen sich weitgehend in Ruhe. Geschossen wurde kaum, man 'bombardierte' sich höchstens mit Lautsprecherparolen und Flugblättern. Ende Februar 1940 wurde Heinz zum 'Sonderführer' ernannt, dieser Rang wurde Soldaten verliehen, die keine umfassende militärische Ausbildung
hatten, deren Spezialkenntnisse aber gebraucht wurden. Viele Soldaten den Propagandaeinheiten hatten einen solchen Status, etwa Lothar Günther Buchheim (Das Boot) und Hans Fallada. Diese Stellung beinhaltete aber keine militärische Befehlsgewalt außerhalb ihrer Einheit und die Position konnte jederzeit widerrufen werden. Die einfachen Soldaten nannte die Sonderführer deshalb auch „Schmalspur-Offiziere“.
 
 
Compiegne1940 - Deutsche 'Sieger' 
Nach dem Angriff der Wehrmacht am 10. Mai 1940 und dem unerwartet schnellen Sieg nach nur sechs Wochen, kam Heinz mit seiner Propagandakompanie im Sommer 1940 in die nordfranzösische Stadt Lille. Dort beschlagnahmten sie die Druckerei des 'Echo du Nord' und begannen Soldatenzeitungen und Informationen der Militärverwaltung für das besetzte Nordfrankreich und Belgien zu drucken. Damit folgte man der 'Tradition' des Ersten Weltkrieges, denn zwischen 1914 und 1918 waren hier bereits Propagandazeitungen für die deutschen Soldaten und die Zivilbevölkerung produziert worden. 
 
Heinz 1940 beim 'Echo du Nord' Lille
Im Gegensatz zu den im Feld mobil arbeitenden  Propagandakompanien, deren Druckereien und Redaktionen aus Lastwagen und in Zelten arbeiteten, hatte man es jetzt bequem. Heinz unterstand eine besetzte Druckerei in Lille, die 'neuen Herren' führten ein bequemes und angenehmes Leben. Ihm wurde es sogar erlaubt, das von allen deutschen Soldaten heiss begehrte Paris zu besuchen
Paris: Heinz vorne links in Uniform
. Ein etwas unscharfes Foto vom Sommer 1940 zeigt ihn in Uniform mit einem Kameraden in einem Pariser Straßencafé am Boulevard St. Michel. 
 
Heinz links
Heinz hatte als Sonderführer das besondere Privileg, in Zivilkleidung arbeiten zu dürfen, er musste also außerhalb seiner Dienststelle keine Uniform tragen. Dies und sein gutes Französisch wir den Kontakt mit den Franzosen erleichtert haben - besonders den mit Französinnen. Viele von ihnen, aber auch die Männer, bewunderten die 'strahlenden Sieger' - was ihnen blühte, war 1940 noch nicht klar. So hatte Heinz, nach Aussagen seiner Schwester, in Lille bereits früh eine französische 'Affaire'. 
 
Mit der Legalität nahmen es die 'Sieger' damals nicht so genau, praktisch wurde Frankreich nach dem Waffenstillstand und der Besetzung ausgeplündert. Soldaten schickte Pakete mit Konsumgütern, die in Deutschland schon lange vom Markt verschwunden waren und bezahlten sie mit faktisch wertlosem Wehrmachtsgeld. Darüber dachten Heinz und seinen Kameraden nicht nach, sie ließen es sich gut gehen, eines Tages bemerkte er, dass ein französischer Nachbar häufiger in seinem Keller verschwand, um nach einiger Zeit angeheitert zurückzukehren. Heinz und Kameraden durchsuchten den Keller und fanden hinter einer frisch gemauerten Wand einen versteckten Weinkeller. Den Rest kann man sich denken - und der Franzose wagte es nicht, die Plünderer anzuzeigen. Heinz überspannte mit seinem Alkoholgenuss aber den Bogen und fuhr eines Tages den Wagen eines Offiziers im Vollrausch an einen Laternenmast. Er wurde bestraft, der Rang des Sonderführers aberkannt. Allerdings wurde er im Sommer 1940 zum Gefreiten und ein Jahr später sogar Unteroffizier befördert - den Rang des Sonderführers erhielt er zurück.

 

1942/43 Frankreich Heinz Zivil 2. von rechts
In seiner Druckerei in Lille arbeiteten neben den
Wehrmachtsangehörigen viele französische Hilfskräfte. Hier wurde außer den Blättern für die Soldaten eine Zeitung für die französische Bevölkerung produziert. Wegen seiner guten Sprachkenntnisse gelang es Heinz schnell, Kontakt zu den französischen Mitarbeitern zu bekommen - er liess dabei durchblicken, kein 'gefolgstreuer' Nazi zu sein. Das sollte ihm nach 1945 noch bei der Entnazifizierung helfen. Auf jeden Fall 'fraternisierte' Heinz in Lille bereits 1940 mit der weiblichen Bevölkerung und sie mit ihm. Der junge Deutsche war sympatisch, sprach ihre Sprache und fiel so in seiner Zivilkleidung in der Öffentlichkeit nicht auf. Nach Kriegsende sagte Heinz, sein PK-Staffelführer der PK habe 1943 in Lille festgehalten: "Er hat das Recht, Uniform zu tragen, aber er macht wenig Gebrauch davon."

Frankreich 1942/43 Heinz rechts in Zivil


 

 

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