Donnerstag, 12. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil X

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

Das Massaker von Kowno


Es geschah Anfang der 1980er Jahre - Heinz besuchte mich und meine Freundin in Norderstedt. Wir saßen am Abend im Wohnzimmer zusammen, da sagte er, er müsse uns etwas erzählen. Kürzlich habe ihn ein Beamter der Frankfurter Kriminalpolizei an seinem Wohnort in Großsachsen zu seiner Kriegszeit vernommen. Heinz hatte oft 'launige Geschichten' darüber erzählt und war stolz, nur ein einziges mal geschossen zu haben - und das auch noch versehentlich auf die eigenen Leute - ohne zu treffen. An diesem Abend erzählte er uns erstmals von seinen Erlebnissen beim Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941. 

 
Heinz Ilmensee Sommer 1941
 
Seine Division gehörte zur 16. Armee, die als Teil der Heeresgruppe am 22.Juni 1941 über das Baltikum bis nach Leningrad vorstoßen sollte. Heinz kam mit der Propaganda-kompanie PK 501 drei Tage nach ihrer Eroberung in die Litauische Hauptstadt Kowno – von den Deutschen Kauen genannt - dem heutigen Kaunas.
 
 
 
 
 
 
Im Jahr 1986 nahm Heinz an einer Podiumsdiskussion in Frankfurt, mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkrieges teil. Er saß dort gemeinsam mit einem damaligen Widerstandskämpfer und einem ehemaligen Führer der Hitler-Jugend. Sie wurden danach gefragt, wass man damals von der Judenvernichtung gewusst habe. Heinz antwortete, man habe nur gehört, dass die Juden in den Osten „ausgesiedelt“ würden. Die KZs wären von der NS-Propaganda als Umerziehungslager bezeichnet worden. Er fügte hinzu, viele Deutsche hätten damals wohl auch nicht mehr darüber wissen wollen. Eine Kollektivschuld lehnte er ab, betonte aber: „das ich mich für bestimmte Dinge schämen muß.“ Was er damit meinte, sagte er an diesem Abend in Frankfurt nicht.

 

Wofür er sich schämte? Heinz verfasste 1942 für den NS-
1941 Frontzeitung Ilmensee

Verlag F.Willmy eine Broschüre unter dem Titel: „Jungarmisten der Weltrevolution – Der Verrat des Bolschewismus an der Jugend“. In dieser NS-Propagandaschrift steht auch eine Passage zur Einnahme Kownos: 

Auf der Freiheitsstraße in Kauen...

Es war am Morgen des 25. Juni 1941. Auf der von litauischen Selbstschutzmännern bereits wieder umbenannten Freiheitsstraße schob und drängte sich eine große Volksmenge Ein klarer, wolkenloser Sommerhimmel lachte über der Stadt Kauen, die nun seit wenigen Stunden dem Terror entronnen war, die wieder aufatmete nach einjähriger Unterdrückung.

Abends zuvor hatten deutsche Voraustruppen die Memel überquert, hatte der Sender einen Aufruf gebracht und verkündet, dass Litauens Hauptstadt wieder frei sei. Die Trümmer der gesprengten großen Brücken hatten den Vormarsch nur kaum verzögern können. In wenigen Nachtstunden war von Pionieren in unvergleichlicher Präzisionsarbeit eine Potonbrücke geschlagen worden.

Über sie marschierte nun die Infanterie in die Stadt ein. Verdreckt,  verschwitzt, übermüdet von der schweren Marschleistung, aber straff und diszipliniert bogen die ersten Kolonnen in die Freiheitsstraße ein. Ein Spalier grüßender Hände empfing sie. Junge Mädchen in hellen Kleidern steckten den Soldaten der jungen deutschen Wehrmacht Blumen an. Frauen brachten Wasser, Tee und andere Getränke, Männer verteilten Zigaretten. Immer wieder wollte man die Hände der Befreier drücken. Ein jubelnder Freiheitsrausch empfing die Soldaten. (...) Alle öffentlichen Gebäude, Druckereien standen unter Schutz(..).

War es auch ein Zufall, so erschien es doch als Symbol: während die deutschen Soldaten auf der einen Seite der breiten Allee marschierten, rückte auf der entgegengesetzten Seite eine staubgelbe Kolonne müde und zerschlagen heran. (...) Da sah man Kirgisen, Kalmücken, die Soldaten des ganzen UdSSR-Völkersammelsuriums. Da zogen die geschlagenen Soldaten der Weltrevolution(...). Und ihnen gegenüber marschierten die jungen deutschen Soldaten, durchdrungen von ihrer Mission, ein für alle Mal die Bedrohung an der Ostgrenze ihres Reiches zu beseitigen. (...) auf Befehl ihres Herzens und im Verantwortungsbewusstsein ihres europäischen Gemeinschaftsgefühles. 

Hier endet die Schilderung – Heinz hat nach dem Krieg betont, es seien ohne sein Wissen zwei Kapitel hinzugefügt und der Text 'verschärft' worden. Ob er damit auch diesen Abschnitt meinte weiß ich nicht.

Der Augenzeuge.... 


Kowno Quelle Bundesarchiv - Wehrmachtssoldaten schauen zu.. (*)
 
Was er aber in Kowno erlebte, darüber schwieg er bis in die 1980er Jahre: Er wurde damals Zeuge, wie in aller Öffentlichkeit Juden; Männer wie Frauen; von litauischen Nationalisten erschlagen wurden. Die Stadt hatte damals etwa 30 000 jüdische Einwohner, unter den Zuschauern der Mordaktion befanden sich viele Wehrmachtssoldaten. Keiner von ihnen griff ein, manche machten sogar Fotos vom Geschehen. (*) Heinz erzählte uns, er sei umgehend mit seinem Kübelwagen zum Hauptquartier der Division gefahren und habe den Vorfall bei dem für den Nachrichtendienst zuständigen Stabsoffizier (IC) gemeldet. Nach einigen Minuten sei dieser zurückgekommen und habe ihm befohlen, umgehend zu seiner Einheit zurückzukehren und Stillschweigen zu bewahren: „Das ist Sache der Einsatzgruppen“ habe er nur gesagt.

Hinter den vorrückenden Kampftruppen folgten Einheiten der SS, die sogenannten Einsatzgruppen. Ihre Aufgabe bestand darin, umgehend nach der Eroberung Juden und Anhänger des Sowjetregimes zu ermorden. Für die Heeresgruppe der 16. Armee war die Einsatzgruppe A zuständig, zu der das SD-Einsatzkommando 3 (Sicherheitsdienst der SS) unter SS-Standartenführer Karl Jäger gehörte. Er wurde später SD-Kommandeur für Gesamt-Litauen und schrieb in seinem Bericht: „Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom EK 3 erreicht worden ist. In Litauen gibt es keine Juden mehr(...).

 

Dabei überließ man Anfangs das Morden Freiwilligen der „Litauischen Aktivistenfront“. Diese Exilanten waren mit der Wehrmacht aus Deutschland nach Litauen zurückgekehrt. (**) Es waren glühende Antisemiten, die auf Rache und Mord auswaren. Sie wollten eine deutschfreundliche Regierung einsetzten, ihre Einheit dienten sich als Hilfspolizisten an und stellten größtenteils die Täter, die Heinz im Zentrum Kownos gesehen hatte. Insgesamt wurden zwischen Juni und Juli 1941 in der Stadt etwa 10 000 jüdische Einwohner ermordet - viele in einer ehemaligen Festung der Stadt. Ende der 1980er Jahre ermittelte die Kriminalpolizei gegen den einstigen SS Rottenführer Helmut Rauca, der das Sonderkommando in Kowno befehligt hatte. In diesem Zusammenhang wurde Heinz von der Kriminalpolizei aus Frankfurt vernommen. Zu einem Prozess gegen Rauca kam es nie, denn er verstarb Mitte  der 80er Jahre. 

 

Heinz besuchte am Abend des 24. Juni 1941 in Kowno eine Kneipe, hier saßen deutsche Soldaten und einheimische Hilfstruppen und feierten den 'Sieg'. Einer von ihnen setzte sich zu Heinz an den Tisch, sie kamen ins Gespräch und der Mann erzählte, er habe sich am Tag zuvor  eine Jüdin aus einem Gefangenenlager geholt. Sie habe sich gewehrt und ihn in den Arm gebissen, bevor er sie erschoss. Heinz blickte auf den Arm und erkannte die rote Linie einer Blutvergiftung. Er überlegte, ob er den Mörder warnen sollte, oder nicht - habe es ihm dann doch gesagt, erzählte Heinz uns Anfang der 1980er Jahre bei seinem Besuch in Norderstedt. Meine Anfrage bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt über Unterlagen des Verhöres Jahre später verliefen erfolglos.

 

Heinz kam am 10. Mai 1942 laut Soldbuch zu einer Ersatzabteilung nach Potsdam und wurde dort Unteroffizier. Er kehrte nach Lille in Frankreich zurück und unterstand dem Militärbefehlshaber für Belgien und die nordfranzösische Provinz, Pas de Calais.  
 

Schweigen nach 1945

 

Ende der 1980er Jahre begann die Debatte über die Vernichtung der Juden und Kriegsverbrechern. Sie wurde Angestoßen durch die Ausstrahlung der US-TV-Serie "Holocaust" in der ARD. Im Jahr 1995 demontierte die bundesweit gezeigte Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht" die verlogene Legende, sie habe einen 'sauberen Krieg' geführt und sei am Holocaust nicht beteiligt gewesen. Einstige Wehrmachtssoldaten, wie der NDR-Journalist und Sozialdemokrat Rüdiger Proske polemisierten gegen die Ausstellung. Immer mehr Zeugnisse kamen aber an die Öffentlichkeit - gerade von Zeitzeugen. Ihr jahrzehntelanges Schweigen nach 1945 hatte das Selbstverständnis der Menschen in der Bundesrepublik - auch in der DDR - als 'Verführte' geprägt, die von nichts gewusst hätten. Zu denen die nach dem Krieg weiter geschwiegen hatten, gehörte auch Heinz.
 
Hamburg 1946: Heinz rechts, Giordano Mitte
Beim Stöbern in der alten Fotokiste meines Vaters fand ich Jahre später eine Aufnahme von 1946 aus Hamburg. Da saßen in der 'guten Stube' meiner Großmutter in der Magdalenenstrasse ein Gruppe junger Männer, darunter auch der dem Holocaust entkommene Ralph Giordano. Heinz leitete damals als Zeitungsredakteur einen Gesprächskreis junger Menschen, dazu gehörten der spätere Regierungssprecher Conrad Ahlers und Christian Kracht, der beim Axel-Springer-Verlag Karriere machen sollte. Mit dabei die Journalistin Heilwig von der Mehden - später bekannt als Autorin der 'Brigitte'. Ich schickte Giordano 1998 eine Kopie des Fotos, daraus entspann sich ein Briefwechsel bis 2013. Er schrieb mir, er habe Heinz noch in guter Erinnerung, dieser sei damals "so etwas wie der Fixstern (...), um den die jüngeren (...) kreisten". Im September 2013 fragte ich Giordano, ob Heinz in diesem Kreis etwas von seinen Erlebnissen in Kowno erzählt habe. Die Antwort Giordanos: Weder Heinz, noch die anderen hätten damals von ihren Kriegserlebnissen gesprochen. "Die Lüge vom 'Sauberen Waffenrock' der Wehrmacht jedenfalls war noch allmächtig (...) das Übliche - Verdrängung. Eben das, was ich die 'zweite Schuld' genannt habe, den 'Großen Frieden mit den Tätern', Geburtsfehler der Bundesrepublik." Vor allem sein NS-Propagandatext über Kowno habe ihn erschüttert "zumal später dann durch ihn selbst ans Tageslicht kam, daß er Augenzeuge von Massentötungen in Kaunas wurde." Giordanos Urteil über meinen Vater  - eine bittere Wahrheit: "Heinz Ressing war nach allem, was ich durch Sie jetzt zu wissen bekam, ein funktionierendes Rädchen im Dienste Hitlers."  
 

 

Sonntag, 8. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familiengeschichte Teil IX

 

Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

'Siegreich woll'n wir Frankreich schlagen'

 
1939
Heinz war kein Heldentyp und schon gar nicht zum Soldaten geboren. Er war sensibel, schwach, gefülig und liebte die Frauen und den Alkohol. Ein Kämpfer war er ebensowenig, wie eine 'arische Lichtgestalt' - obwohl er blond, groß, mit seinen grauen Augen ideal für die Propaganda hätte posieren können. Er hatte nach 1933 gelernt, sich anzupassen und zu arrangieren, Konflikten ging er lieber aus dem Weg, betäubte Stress und Ängste mit Alkohol.
 
1940 Kaserne Hamburg Bahrenfeld
Anfang 1939 wurde der 26-Jährige zu einer 13-wöchigen Wehrübung eingezogen. Da es in der Weimarer Republik keine Wehrpflicht gegeben hatte, war er nicht militärisch ausgebildet. Hitler hatte den Wehrdienst im Reich erst 1935 wieder eingeführt. Heinz bekam seine militärische Kurzausbildung in Jüterbog beim Nachrichtenbataillon des Infanterieregiments 271. Seine Einheit war erst im September 1939 aufgestellt worden und war Teil der 93.Infanteriedivision. Der Journalist wurde als Funker ausgebildet, konnte danach aber wieder an seinen Schreibtisch in der Redaktion des Hamburger Anzeigers zurückkehren.

 

Etwa einen Monat nach Kriegsbeginn, am 23. September 1939 wurde er im Rang eines Schützen zur Wehrmacht eingezogen. Im Soldbuch mit der Nummer 69, blickt auf dem Foto ein magerer junger Mann mit hoher Stirn, zurückgekämmten Haaren und weichem Mund. Mit angedeutetem Lächeln wirkt er eher müde und nachdenklich. Bald stellte sich heruas, das Heinz nicht fronttauglich war, die bereits während seiner Jugend aufgetretenen Magenbeschwerden hatten sich zu Geschwüren entwickelt. Laut Soldbuch lag er deshalb am 18.Oktober 1939 für mehrere Wochen in verschiedenen Lazaretten. Körperlich und seelisch angeschlagen, war er massiv abgemagert und schrieb einen Brief an seine Schwester Käthe. Die 25-Jährige war, nach Ende ihres
Arbeitsdienst - Käthe war dabei
Arbeitsdienstes Leiterin beim Roten Kreuz und ihr war klar, dass sie sofort handeln musste. Sie zog ihre Dienstkleidung an und fuhr in das Reservelazarett nach Hamburg, in dem Heinz lag. Der Anblick ihres Bruders schockierte sie, der 1,83 Meter große Mann wog gerade noch 50 Kilo. Er erzählte seiner Schwester, er bekomme Bratkartoffeln und Kohl zu essen, was er nicht bei sich behalten könne. Heinz weinte und klagte über sein eiskaltes Krankenzimmer. Käthe sagte dem anwesenden Wehrmachtspfleger, sie würde das Krankenzimmer nicht verlassen, bevor der zuständige Arzt bei ihr erscheine. Er kam und Käthe forderte ihn auf, ihren Bruder umgehend in ein ziviles Hamburger Krankenhaus zu verlegen. Dabei dürfte ihr Position beim Roten Kreuz Wirkung gezeigt haben – jedenfalls kam Heinz ins Krankenhaus nach Hamburg-Barmbek. Die Geschwüre waren aber so fortgeschritten, dass ihm dort der halbe Magen entfernt werden musste.

 

Nach der Magenoperation 1940 
Nach längerem Aufenthalt im Krankenhaus kam Heinz im Frühjahr 1940 in die Propagandakompanie 501 beim Nachrichtenregiment der 16.Armee von Generaloberst Ernst Busch. Heinz wurde nach Trier beordert, man brauchte dort einen Zeitungsredakteur am „Westwall“ für die dort stationierten Einheiten. Während dieser Zeit produzierte er Frontzeitungen für die 16. Armee. Die Propagandaeinheiten der Wehrmacht waren 1938 eingeführt worden, sie unterstanden direkt dem jeweiligen Armeeoberkommando. Bis Ende 1942 waren in der Wehrmacht rund 15.000 Soldaten für die Propagandaeinheiten tätig - immerhin also in Divisionsstärke. Sie unterstanden zwar der jeweiligen Armeeführung, die inhaltlichen Anweisungen erhielten sie jedoch direkt von Goebbels Propagandaministerium aus Berlin. In den PK der Wehrmacht und der Waffen-SS arbeiteten viele Journalisten, die nach 1945 in der Bundesrepublik ihre publizistische Karriere ungehindert fortsetzten können: Karl Holzamer (ZDF-Intendant), Ernst von Khuon (ARD-Wissenschaftsjournalist), Heinz Maegerlein (ArD-Quizzmaster) Henri Nannen (STERN-Chef), Herbert Reinecker (ZDF „Der Kommissar“ und „Derrick“), Jürgen Roland (NDR „Stahlnetz“ und „Großstadtrevier“), Ernst Rowohlt (Verleger), Peter von Zahn (ARD-Journalist, Windrose). 
 

Mit der Propaganda-Kompanie nach Frankreich

 
Westwall bei Trier - Heinz rechts
Heinz wurde wegen seiner guten Französischkenntnisse am „Westwall“ eingesetzt. Dort saßen sich Deutsche und Franzosen in Bunkern und Schützengräben im sogenannten „Sitzkrieg“ gegenüber, von den Franzosen „drole de guerre“ genannt, und ließen sich weitgehend in Ruhe. Geschossen wurde kaum, man 'bombardierte' sich höchstens mit Lautsprecherparolen und Flugblättern. Ende Februar 1940 wurde Heinz zum 'Sonderführer' ernannt, dieser Rang wurde Soldaten verliehen, die keine umfassende militärische Ausbildung
hatten, deren Spezialkenntnisse aber gebraucht wurden. Viele Soldaten den Propagandaeinheiten hatten einen solchen Status, etwa Lothar Günther Buchheim (Das Boot) und Hans Fallada. Diese Stellung beinhaltete aber keine militärische Befehlsgewalt außerhalb ihrer Einheit und die Position konnte jederzeit widerrufen werden. Die einfachen Soldaten nannte die Sonderführer deshalb auch „Schmalspur-Offiziere“.
 
 
Compiegne1940 - Deutsche 'Sieger' 
Nach dem Angriff der Wehrmacht am 10. Mai 1940 und dem unerwartet schnellen Sieg nach nur sechs Wochen, kam Heinz mit seiner Propagandakompanie im Sommer 1940 in die nordfranzösische Stadt Lille. Dort beschlagnahmten sie die Druckerei des 'Echo du Nord' und begannen Soldatenzeitungen und Informationen der Militärverwaltung für das besetzte Nordfrankreich und Belgien zu drucken. Damit folgte man der 'Tradition' des Ersten Weltkrieges, denn zwischen 1914 und 1918 waren hier bereits Propagandazeitungen für die deutschen Soldaten und die Zivilbevölkerung produziert worden. 
 
Heinz 1940 beim 'Echo du Nord' Lille
Im Gegensatz zu den im Feld mobil arbeitenden  Propagandakompanien, deren Druckereien und Redaktionen aus Lastwagen und in Zelten arbeiteten, hatte man es jetzt bequem. Heinz unterstand eine besetzte Druckerei in Lille, die 'neuen Herren' führten ein bequemes und angenehmes Leben. Ihm wurde es sogar erlaubt, das von allen deutschen Soldaten heiss begehrte Paris zu besuchen
Paris: Heinz vorne links in Uniform
. Ein etwas unscharfes Foto vom Sommer 1940 zeigt ihn in Uniform mit einem Kameraden in einem Pariser Straßencafé am Boulevard St. Michel. 
 
Heinz links
Heinz hatte als Sonderführer das besondere Privileg, in Zivilkleidung arbeiten zu dürfen, er musste also außerhalb seiner Dienststelle keine Uniform tragen. Dies und sein gutes Französisch wir den Kontakt mit den Franzosen erleichtert haben - besonders den mit Französinnen. Viele von ihnen, aber auch die Männer, bewunderten die 'strahlenden Sieger' - was ihnen blühte, war 1940 noch nicht klar. So hatte Heinz, nach Aussagen seiner Schwester, in Lille bereits früh eine französische 'Affaire'. 
 
Mit der Legalität nahmen es die 'Sieger' damals nicht so genau, praktisch wurde Frankreich nach dem Waffenstillstand und der Besetzung ausgeplündert. Soldaten schickte Pakete mit Konsumgütern, die in Deutschland schon lange vom Markt verschwunden waren und bezahlten sie mit faktisch wertlosem Wehrmachtsgeld. Darüber dachten Heinz und seinen Kameraden nicht nach, sie ließen es sich gut gehen, eines Tages bemerkte er, dass ein französischer Nachbar häufiger in seinem Keller verschwand, um nach einiger Zeit angeheitert zurückzukehren. Heinz und Kameraden durchsuchten den Keller und fanden hinter einer frisch gemauerten Wand einen versteckten Weinkeller. Den Rest kann man sich denken - und der Franzose wagte es nicht, die Plünderer anzuzeigen. Heinz überspannte mit seinem Alkoholgenuss aber den Bogen und fuhr eines Tages den Wagen eines Offiziers im Vollrausch an einen Laternenmast. Er wurde bestraft, der Rang des Sonderführers aberkannt. Allerdings wurde er im Sommer 1940 zum Gefreiten und ein Jahr später sogar Unteroffizier befördert - den Rang des Sonderführers erhielt er zurück.

 

1942/43 Frankreich Heinz Zivil 2. von rechts
In seiner Druckerei in Lille arbeiteten neben den
Wehrmachtsangehörigen viele französische Hilfskräfte. Hier wurde außer den Blättern für die Soldaten eine Zeitung für die französische Bevölkerung produziert. Wegen seiner guten Sprachkenntnisse gelang es Heinz schnell, Kontakt zu den französischen Mitarbeitern zu bekommen - er liess dabei durchblicken, kein 'gefolgstreuer' Nazi zu sein. Das sollte ihm nach 1945 noch bei der Entnazifizierung helfen. Auf jeden Fall 'fraternisierte' Heinz in Lille bereits 1940 mit der weiblichen Bevölkerung und sie mit ihm. Der junge Deutsche war sympatisch, sprach ihre Sprache und fiel so in seiner Zivilkleidung in der Öffentlichkeit nicht auf. Nach Kriegsende sagte Heinz, sein PK-Staffelführer der PK habe 1943 in Lille festgehalten: "Er hat das Recht, Uniform zu tragen, aber er macht wenig Gebrauch davon."

Frankreich 1942/43 Heinz rechts in Zivil


 

 

Sonntag, 1. Mai 2022

Meine deutsch-französische Familie Teil VIII


Vorbemerkung:

Alles was ich hier schildere wurde mir von meinen Familienangehörigen erzählt. Natürlich sind solche Berichte nur bedingt dokumentarisch, vor allem, wenn diese Geschichten Jahrzehnte später erzählt wurden und alle Gesprächspartner heute nicht mehr leben. Manches habe ich aus Dokumenten ergänzt, manches mit etwas Phantasie versucht, lebendiger zu illustrieren. Diese deutsch-französische Familiengeschichte ist auch ein Spiegel einer Epoche - von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 

Copyright: Weder der Text, noch Textpassagen dürfen ohne meine Einwilligung verwendet werden, dies gilt auch für das hier verwendete Fotomaterial. Das Urheberrecht liegt alleine beim Autor.

 

 

„Machtergreifung“ - Anpassung 

 

Heinz und Käthe 1930er Jahre
Bisher hatte es Heinz geschafft, dass die Familie in Gronau wenig von seinen Aktivitäten in Hamburg mitbekam - nur seine Schwester Käthe als seine Vertraute wusste mehr. Dies änderte sich, als er 1932 in Hamburg in eine Saalschlacht zwischen Kommunisten, Nazis und der Polizei geriet. An der Universität sollte es ein Streitgespräch über Wirtschaftspolitik zwischen Vertretern der KPD und der NSDAP geben. Vor Beginn war der Saal übervoll mit Anhängern beider Parteien - die Stimmung war Explosiv. "Es kam gar nicht zur Debatte, jemand brüllte in den Saal 'Kommune' und schon gingen die Kontrahenten mit Stuhlbeinen und anderen Schlagwerkzeugen aufeinander los", schilderte Heinz die Situation. Dabei hätten sich die Kommunisten an der Fensterfront des Saales im Erdgeschoss schlecht postiert. Auf das Signal einer Trillerpfeife stürmten Beamte den Saal und kamen auch durch die Fenster, Nazis und Polizei nahmen die Kommunisten in die Zange. Heinz gelang es trotzdem, unbeschadet zu entkommen - wie Vater Heinrich davon Gronau erfuhr, ist unklar. Er stellte jedenfalls Heinz ein Ultimatum: Entweder Hamburg verlassen, oder kein Geld mehr bekommen.

Vielleicht war Heinz vielleicht ganz froh darüber, das 'heiße Pflaster' Hamburg hinter sich zu lassen. Er zog nach Frankfurt am Main und arbeitete dort als kaufmännischer Volontär bei einer Firma für Telefonbau und Notrufanlagen. Daneben besuchte er an der Universität Frankfurt Seminare, um doch noch einen Abschluss zu erreichen. Auch hier gaben im Herbst 1932 bereits die Nazis den Ton an. Dabei regierte ein liberaler Bürgermeister die Stadt mit der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands. Ende 1932 erhielt die NSDAP bei den Reichstagswahlen hier 33,5% aller Stimmen. Frankfurt hatte eine lange antisemitische Vergangenheit, so vermietete seit 1895 das bekannte Hotel 'Kölner Hof' keine Zimmer an Juden - man warb sogar damit, "Judenfrei" zu sein.
 

Hitler wird Reichskanzler - Heinz tritt in die SA ein


Nach seiner Ankunft im Herbst 1932, nahm Heinz Kontakt zur KPD in der Mainmetorpole auf. Bereits zu dieser Zeit diskutierte man über Arbeit in der Illegalität wie auch die mögliche Unterwanderung einiger Nazi-Organisationen. Am Abend des 30.Januar 1933 besuchte Heinz zusammen mit Freunden eine Agit-Prop-Veranstaltung in einem Frankfurter Theater. Als sie nach dem Ende auf die Straße kamen, riefen die Zeitungsjungen an den Straßenecken ihre Extrablätter aus: „Hitler ist Reichskanzler!“ Der Schock war für Heinz und seine Genossen groß, eigentlich hatte man erwartet, dass die NSDAP nach Verlusten bei der Reichstagswahl 1932 an Einfluss verlieren würden - und nun waren sie an der Macht.

Am nächsten Tag warnten ihn Kollegen im Betrieb: "Halt lieber deinen Mund wenn es um Politik geht!". Heinz hatte sich oft abfällig über die Nazis und die SA geäußert. Rücklblickend schrieb Heinz, sein KPD-Kontaktmann habe ihm gesagt: "Versuche in die SA reinzugehen, dann kriegst Du nämlich Waffen, und wir brauchen welche." Er trat in die  Nationalsozialistische Betriebsorganisation (NSBO) seiner Firma ein und wurde nache iner 'Anwärterzeit' in den Frankfrurter SA-Pioniersturm aufgenommen. Er bekam eine belgische Pistole für 25 Mark und das Recht, Uniform zu tragen. Damals gehörte Frankfurt zur entmilitarisierten Zone, es durfte dort keine Reichwehr stationiert werden. So wurden zwischen Februar und August 1933 die SA-Leute zur Hilfspolizisten ernannt. Ob und zu welchen Anlässen er Uniform getragen hat – Heinz hat darüber nie gesprochen, er meinte nur "Ich bin dort fünf- oder sechsmal gewesen." 
 
Die KPD und ihre Organisationen wurden reichsweit nach wenigen Monaten zerschlagen, viele Mitglieder in die 'wilden' Konzentrationslager der SA verschleppt, dort gequält und umgebracht. Am 1. April 1933 gab es den ersten staatlichen Angriff auf die Juden im Reich, organisiert von SA und SS, aber auch viele 'Normalbürger' beteiligten sich. Unter dem Kampfruf: „Deutsche wehrt Euch - Kauft nicht bei Juden!“ wurde zum Boykott ihrer Geschäfte aufgerufen. Ob und wie Heinz in Frankfurt beteiligt war ist unbekannt. Er hielt aber immerhin noch Kontakt zu dem KPD-Kontaktmann, Eberhard Schütz, der im September 1933 von der Gestapo verhaftet wurde. Man ließ ihn nach kurzer Zeit wieder frei, die Gestapo hoffte, so an seine Genossen im Untergrund zu kommen. Schütz fuhr jedoch sirekt vom Gefängnis zum Frankfurter Hauptbahnhof, wo ihm seine Mutter den Reisepass brachte. So entkam er den Nazis, arbeitete während des Krieges in London für das deutsche BBC-Radioprogramm. Bekannt wurde seine Stimme den Hörern mit der Ankündigung: „Hier ist England! Hier ist England!“ Nach dem Krieg wurde Schütz in Hamburg Programmchef beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR). Er wechselte danachzum RIAS nach Berlin und später zum SFB. 
 

Heinz fürchtete nach der Verhaftung seines KPD-Kontakmanns, das seine Verbindungen in Frankfurt der Gestapo bekannt waren. Er wusste nicht, was Schütz nach der Verhaftung ausgesagt hatte und in seiner Frankfurter Dachkammer lagerte ein großer Überseekoffer. Darin befanden sich massenweise kommunistische Flugblätter und ein Druckapparat. Außerdem enthielt er eine KPD-Fahne, Parteiunterlagen sowie zwei Pistolen. Es musste etwas geschehen, aber wer konnte Heinz helfen? Er erinnerte er sich an ein junges Mädchen, das er mit ihrem Bruder auf einer KPD-Veranstaltung kennengelernt hatte. Er verabredete sich mit ihr und erzählte ihr vom Koffer, das bedeutete ein großes Risiko, sie hätte ja ein Nazi-Spitzel sein können. Heinz hatte Glück, wenige Tage später meldete sie sich bei ihm und gab die Anweisung, er sollte den Koffer mit einem Taxi zu einer bestimmten Adresse im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen bringen. Die Aktion gelang. 
 
Heinz wurde der Boden in Frankfurt zu heiß, er kündigte in seinem Betrieb und wollte nach Frankreich. In Marseille lebte damals eine Schulfreundin und Heinz kaufte sich von seinem letzten Geld am Frankfurter Bahnhof eine Fahrkarte. Damit kam er aber nur bis zur Reichsgrenze in Kehl am Rhein, die französischen Zöllner stellten bei der Kontrolle fest, dass sein Visum vor einem Monat abgelaufen war und verweigerten ihm die Einreise. Verzweifelt und ohne Geld rief er mit den letzten Groschen seinen Vater in Gronau an. Er schickte seinem Sohn ohne große Nachfragen das Fahrgeld und Heinz kehrte nach Hause zurück. 
 

Hausdurchsuchung in Gronau - Die Familie zerfällt


Gronau erwacht.....
Auch in Gronau mit seinen 17 500 Einwohnern übernahmen die Nazis die 'Macht'. Dabei hatte sich die NSDAP Ortsgruppe der Stadt bis zum 30. Januar 1933 nicht besonders hervorgetan. Jetzt an der Macht wurde in Gronau der 'Alte Markt' in 'Horst Wessel Platz' umbenannt, eine Hauptstrasse nach Adolf Hitler benannt wie auch Goebbels, Göring und Ley. Einige Zeit nach Heinz Rückkehr klingelte es früh am Morgen an der Tür der Familie Ressing. Ein Polizeikommissar mit Namen Wiora zeigte seine Marke und teilte dem Sparkassendirektor mit, Hausdurchsuchung vornehmen zu müssen. Wiora war Beamter der örtlichen Kriminalpolizei, erst später wurde auch in Gronau eine Gestapo-Stelle eingerichtet. Dem Kommissar war die Angelegenheit sichtlich peinlich, die Ressings gehörten schließlich zu den besseren Kreisen. Wiora verließ vor Beginn der Durchsuchung die Wohnung, um Zigaretten zu kaufen. Dabei ließ er die Akte auf dem Wohnzimmertisch liegen. Nach kurzem Nachdenken schaute Heinz hinein: „Im Zusammenhang mit dem Hochverratsverfahren gegen die Gruppe Schütz“. Sie hatten also herausbekommen, dass er etwas mit ihm und der KPD  zu tun hatte. Die Durchsuchung brachte nicht viel, drei von den Nazis verbotene Bücher wurden beschlagnahmt - das war alles.
Heinz half dem Beamten sogar bei der Formulierung des Durchsuchungs-Protokolls. Während der Polizist sein Zimmer inspizierte, saß die achtzehnjährige Schwester Käthe auf dem Bett ihres Bruders. Mit ihren langen Zöpfen und kindlich-treuherzigem Blick ga sie sich naiv, dabei lag unter ihr eine geladene Pistole - ob es Heinz SA-Waffe oder eine aus dem KPD-Koffer war, ist unklar. Er kam jedenfalls mit einem blauen Auge davon, nach der Vernehmung in Anwesenheit von Bürgermeister Dr.Otto Jansen - wurde das Verfahren gegen Heinz eingestellt.

Sparkasse unterm Hakenkreuz
 
Die Machthaber hatten Heinrich Ressing aus dem Beamtenstand entfernt, man beschuldigte ihn, Geld der Sparkasse unterschlagen zu haben. In der Familie vermutete man aber, er habe der Karriere eines NS-Parteigenossen im Wege gestanden. Heinrich wurde jedenfalls verhaftet, angeklagt und vom Gericht verurteilt. Er hatte unerlaubt Geld aus dem Kassenschrank seiner Filiale des Westfälisch-Lippischen Sparkassen- und Giroverbandes Münster genommen. Bevor er die Summe zurücklegen konnte, war der Vorgang bei einer überraschenden Revision aufgeflogen. Heinrich kam sechs Monate in eines der Konzentrationslager im Emsland - Unterlagen über Prozess und Urteil habe ich nicht finden können.
 
Heinrich Ende der 30er Jahre
Die Verurteilung und Inhaftierung wegen Betrugs bedeutete für
die Familie in der Kleinstadt das gesellschaftliche Aus. Aber nicht nur deshalb zerbrach die Familie, ausserheliche Eskapaden des Vaters dürften auch eine Rolle gespielt haben. Heinrich kehrte jedenfalls nach Haftverbüssung nicht zur Familie zurück. Jetzt musste Heinz Geld verdienen, um seine Mutter und die Schwester durchzubringen. Was sollte er tun? Er besann sich auf Verwandte in Hamburg, kannte die Stadt außerdem von seiner Studentenzeit. Er bestieg sein sein Fahrrad und fuhr von Gronau bis an die Elbe.



Heinz wird Reporter beim 'Hamburger Anzeiger'

 

Das NS-Regime hatte sich etabliert, saß fest im Sattel der Macht. Tausende Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Nazigegner saßen in den Konzentrationslagern. Die Hoffnung, Hitler würde bald stürzen und die proletarischen Revolution folgen, erwies sich als falsch. Viele NS-Gegner zogen sich ins Privatleben zurück oder arrangierten sich. Im Jahr 1947 erklärte Heinz bei seiner Entnazifizierung, er habe nach 1933 eine „immer stärkere Abneigung gegen autoritäre Methoden“ entwickelt und sei politisch nicht mehr aktiv gewesen. Trotzdem habe er versucht, Verfolgten zu helfen, so etwa 1935 mit einer Aussage für einen Angeklagten in einem „Trotzkistenprozess“ - einen Beleg dafür konnte ich in Archiven dazu nicht finden. 

Willi Phieler Winter-Olympiade 1936 Garmisch
Wollte er als Journalist arbeiten, war Anpassung angesagt. In Hamburg ging Heinz zu seinem Vetter Dr.Willi Phieler, NSDAP Mitglied und Sportreporter beim „Hamburger Anzeiger“. Er nahm sich Heinz an und brachte ihn mit einem „Alt-Parteigenossen“ zusammen, der dort ebenfalls als Redakteur arbeitete. Dieser nannte Heinz linke Vergangenheit: „Kinderkram“ und versprach ihm zu helfen. Nach dem Krieg schrieb Heinz, dieser Alt-PG habe zum 'linken Flügel' der NSDAP um die Strasser-Brüder gehört.
 
Heinz 1937 Springtournier Klein Flottbek
 
Heinz nahm sich ein Zimmer in der Grindelallee 137, in der Nähe der Universität, wo er einst als Student gelebt hatte. Später zog er nach Alsterdorf in die Alsterdorfer Strasse 37c. Seine Loyalität zum neuen System wollte er wohl damit beweisen, dass er in Hamburg der SA-Standarte 464, Sturm 5/464 Pi (Pioniere) beitrat. Dazu dürfte ihm sicherlich auch Vetter Willi geraten haben, der als Sportreporter bei der Tageszeitung arbeitete. Er stellte Heinz am Bußtag 1933 Peter Glahn, dessen späterem Chef beim 'Hamburger Anzeiger' vor. Sie trafen sich auf der Trabrennbahn in Farmsen und "damit begann einige Tage später meine Laufbahn als Lokalreporter am Gänsemarkt“. In dem damals zehn Jahre älteren Glahn, gewann Heinz einen väterlichen Freund, der ihm das Rüstzeug zum Journalismus beibrachte.

Heinz SA-Mitgliedschaft fand mit dem sogenannten „Röhm-Putsch“ ein Ende. Zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1934 entledigte sich Hitler durch SS-Mordkommandos seiner innerparteilichen Konkurrenten - dem Massaker fielen reichsweit etwa 200 Menschen zum Opfer. Die SA wurde politisch und militärisch entmachtet und tausende Mitglieder aus der 'Partei-Armee' entlassen - darunter auch Heinz. In der Bescheinigung vom November 1934 heißt es, der SA-Mann  Ressing sei: „ordnungsgemäß aus der SA wegen Verringerung der SA entlassen“ worden.
Im Jahr 1947 betonte Heinz in seinem Entnazifizierungs-Verfahren, er habe damals in der Redaktion als politisch Unzuverlässig gegolten und sei bis zum Kriegsbeginn von der Gestapo überwacht worden.

Ab Herbst 1933 arbeitete Heinz als Lokalreporter beim 'Hamburger Anzeiger', der damals größten Tageszeitung der Hansestadt. Mitglied der NSDAP wurde er nie, auch trat er keiner andere NS-Organisation bei. Am 22. September 1933 hatte Josef Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, das Gesetz über die Reichskulturkammer verkündet. Am 4.Oktober folgte das Schriftleitergesetz, das die Zulassung zu journalistischen Tätigkeit regelte. Jeder Journalist musste Mitglied der Reichspressekammer sein, dazu waren politische Zuverlässigkeit und arische Abstammung durch 'Ariernachweis' verpflichtend. In der Folge bekamen etwa 1300 Journalisten im Reich ein Berufsverbot – rund zehn Prozent des Berufsstandes. Einige Zeitungen wurden in der Folge eingestellt – etwa die traditionsreiche „Vossische Zeitung“. Andererseits eröffneten sich Karrierechancen und Aufstiegsmöglichkeiten in den Redaktionen. Goebbels erkannte, dass der  'Aderlass' an ausgebildeten Journalisten immens war. Da sein Ministerium durch Zensur und tägliche Anweisungen die politische Berichterstattung aller Zeitungen im Reich kontrollierte - entschied er, dass nicht jeder Journalist auch Parteimitglied werden musste. 
Heinz 'Ariernachweis' März 1937

 
Heinz arbeitete als Lokalteporter und berichtete vorwiegend über „bunte“ Themen, Sport und Kultur. Da er sich immer für Film interessiert hatte, verfasste er auch Kritiken für den Film-Kurier und die Kölnische Zeitung. 
 
Damals waren Journalisten, wie heute, immer auf der 'Jagd' nach spektakulären Geschichten, die Zeitungen erschienen oft mit mehreren Ausgaben am Tag. Einem Kollegen gelang ein spektaulärer Scoop: Im Hafen lief ein Passagierschiff aus New York ein, an Bord ein von den US-Behörden ausgewiesener Mafia-Boss. Er durfte aber in Europa nirgendwo an Land gehen, ein Redakteur des "Hamburger Anzeigers" hatte früher als Schiffsoffizier gearbeitet. Er zog sich seine alte Uniform an, gelangte so auf das Schiff und konnte als einziger europäischer Journalist den Mobster interviewen. Ähnliches Glück hatte im Herbst 1937 ein Kollege, der bei einem Besuch des Reeperbahn-Amüsierlokals „Zillertal“ bemerkte, dass die Empore für Publikum gesperrt war. Dort saßen nur ein paar Männer und folgten amüsiert dem Treiben im Saal, ein Zuschauer spendierte der Kapelle eine Runde Bier. Damals war es üblich, dass dann der spendabler Gast die Kapelle dirigieren durfte. Der elegant gekleidete Herr 'enterte' das Dirigenten-Podest und die Kapelle begann unter seiner Leitung einen schmissiger Militärmarsch. Der 'Dirigent' war niemand geringeres als der abgedankte britische König Eduard VIII - nunmehr Herzog von Windsor. Er befand sich auf einer Deutschlandreise, bei der er auch Hitler getroffen hatte. Heute weiß man, dass er und seine Frau Sympathisanten des Nazi-Regimes waren.

Heinz wurde schnell klar, dass viele seiner Kollegen in der Redaktion keine überzeugten Nazis waren. Die meisten hatten hier schon vor 1933 gearbeitet und passten sich den neuen Bedingungen an. Was politisch berichtet werden sollte, wurde sowieso täglich allen Zeitungen im Reich durch Goebbels Ministerium vorgegeben. Neue Aufgaben kamen auf die Redaktion durch das Groß-Hamburg-Gesetz vom April 1937 zu. Das Stadt- und damit Berichtsgebiet wurde soum die einstigen preußischen Gemeinden: Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg und weitere 28 Orte deutlich vergrößert.
 
Am 9. November 1938 brannte in Hamburg die Synagoge unweit der Talmud-Tora-Schule - die Ruine wurde erst 1939 abgerissen. Heinz hat nie darüber gesprochen, wie er diesen Tag erlebt hat. Er kümmerte sich um seine Mutter und Schwester, die aus Gronau nach Hamburg gekommen waren und verdiente sein Geld als Lokal- und Sportreporter. Er schrieb daneben Filmkritiken für die Zeitschrift „Der Film – Heute und Morgen.“ Damals bekam er ein Alkoholproblem - typische 'Berufskrankheit' vieler Journalisten. Er erzählte davon, wie er auf einer Pressekonferenz einer Delegation aus Japan bereits am frühen Vormittag mit Sake-Reiswein abgefüllt worden sei. Der 25-Jährige wollte endlich sein Leben genießen, bereiste bis 1937 per Anhalter oder Fahrrad Großbritannien, die Schweiz, Frankreich und die Niederlande und kaufte sich später ein Auto: Marke Adler. Das Thema Emigration war nicht mehr akut – es ging ihm wirtschaftlich gut und er musste sich um die Famlie kümmern - politisch ließ man ihn in Ruhe. 
 
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Heinz widmete sich dem Privatleben und dazu gehörten Frauen. Er war mit Gretel Schaub, der Tochter eines Dirigenten und Musikers, bekannt - Ende der 1930er heirateten sie. Die Ehe wurde unter seltsamen Umständen geschlossen, erzählte später seine Schwester Käthe. Gretel war unglücklich in einen Kollegen von Heinz verliebt, um sie zu trösten, meinte er zu ihr: „Dann nimm doch einfach mich!“ Dabei hätte Gretels Mutter lieber ihre zweite Tochter mit Heinz verkuppelt. Er wohnte
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damals in der Rothenbaumchaussee 105 und fragte Gretel, was sie sich zum Geburtstag wünsche. Sie antwortete: „Die Scheidung"
und so wurden sie am 13.Juli 1940 wieder geschieden - man trennte sich in Freundschaft. während des Überfalls auf die Sowjetunion hatte Heinz im Herbst 1941 eine Panne auf einer russischen Rollbahn. Ein entgegenkommender Kübelwagen hielt, um zu helfen. Aus ihm stieg der einstige Kollege, in den Gretel so  unglücklich verliebt gewesen war. Beide Männer fuhren gemeinsam ein Stück und Heinz erfuhr von ihm, dass er jetzt Gretel gerheiratet hatte.

Nach Kriegsende musste Heinz in Hamburg den zwölfseitigen Fragebogen über eine Zugehörigkeit zu NS-Organisationen bzw. Verstrickung in das Nazi-System beantworten: