Montag, 1. November 2021

Nürnberg: 1946 - 2021

2021

Ein ganz normaler Saal in einem ganz normalen Gerichtsgebäude in Deutschland. Raum Nummer 600 - Justizpalast Nürnberg. Seine Geschichte macht den Unterschied aus. Hier fanden 1946, vor 75 Jahren, die Prozesse gegen die Hauptangeklagten des NS-Regimes vor den Richtern aus Großbritannien, Frankreich, den USA und der Sowjetunion statt. Es hatte nach der Kapitulation des NS-Reiches am 8. Mai 1945 durchaus Meinungen bei den Alliierten gegeben, die gefassten NS-Täter einfach hinzurichten. Aber die Verbrechen waren so ungeheuerlich, dass man entschied, die NS-Größen vor ein internationales Gericht zu stellen.  


1946

Auch heute noch wird im Saal 600 Recht gesprochen, etwa 2011, als gegen einen Neonazi verhandelt wurde, der in der U-Bahn einen vermeintlichen Linken so schwer verletzt hatte, das dieser bleibende Schäden zurückbehielt. Während der Verhandlung kam es im Saal zu Auseinandersetzungen und der Richter musste den Prozess räumlich verlegen. 'Der Schoss ist fruchtbar, aus dem das kroch' warnte einst Bertold Brecht....

Neben dem Prozess 1946 gegen die NS-Elite, fanden hier bis 1949 weitere zwölf internationale Verhandlungen gegen weitere Verantwortliche statt. Darunter waren Ärzte, Juristen, Militärs, Wirtschaftsmagnaten, Mitglieder von SS und Polizei. 

 

 

Das für die Prozesse genutzte Gerichtsgebäude war Teil des umfangreichen Nürnberger Justizpalastes, wenige Kilometer von der Innenstadt entfernt. Da hier die alliierten Bombenangriffe nicht so große Schäden angerichtet hatten und sich außerdem direkt hinter dem Gericht ein Gefängnis befand, wählten die Alliierten diesenStandort. Sie befürchteten Befreiungsversuche und Anschläge von Hitler-Anhängern und so wurde das Gelände militärisch hermetisch abgeriegelt. Den Prozess durften nur Pressevertreter und besondere Gäste vor Ort verfolgen. Der Saal wurde damals für den Prozess umgebaut, nach Gründung der Bundesrepublik hat man ihn dann erneut umgestaltet. 

Die 50 Bände umfassenden Prozessakten wurden nach dem Prozess veröffentlcht, aber von der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet. Bei einem Besuch des Amerikahauses in Hamburg, es befand sich an der Moorweide, fand ich sie bei einem Besuch, Anfang der 1970er Jahre, sie erstreckten sich im Lesesaal über eine große Regalwand.

Auf den ersten Blick ist der Gerichtssaal ein typisches Symbol des deutschen Obrigkeitsstaates der Kaiserzeit. Verglichen mit den Film- und Fotoaufnahmen von 1946 wirkte er aber auf mich wesentlich kleiner. Über den mächtigen Eingangsportalen aus dunklem Holz mit den Symbolen der Macht und des Rechts, steht hinter dem Richetrtisch heute ein massives Kreuz - wir sind ja in Bayern. Der Audioguide informiert, das sich links hinter der Bank für die Angeklagten eine Tür zu einem Aufzug befindet. Über ihn wurden 1946 die angeklagten NS-Größen zum unterirdischen Gang gebracht, der in das Gefängnis führte.

Die Gedenkstätte wurde im Jahr 2010 eröffnet. Erst im Jahr 2000 war es für Besucher überhaupt möglich, den Saal im Rahmen einer Führung zu besichtigen. Immerhin ist er ein Symbol für das internationale Recht, denn erstmals wurden hier Verantwortliche für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen und vrn einem internationalen Tribunal verhandelt. Einen ähnliche Prozess gab es nach der Kapitulation Japans gegen die Kriegsverbrecher in Tokio - der Kaiser (Tenno) blieb verschont. Mit dem sich 1946 bereits anbahnenden 'Kalten Krieg' zwischen den Westmächten und der Sowjetunion, kamen viele Verantwortliche des

NS-Staates und ihre Profiteure in den Folgeprozessen glimpflich davon. Abgesehen von den im ersten Prozess zum Tode Verurteilten wurden viele Täter zwar zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, aber nach Gründung der Bundesrepublik entlassen. Die Deutschen wollten vergessen, wie sie am NS-System und seinen Verbrechen mitgewirkt und profitiert hatten, sie sahen sich angesichts der Zerstörungen nur als Opfer und 'hatten von nichts gewusst'. Erst 1963 sollte der Frankfurter Prozess gegen die Verantwortlichen des Vernichtungslagers Auschwitz vor allem vielen jüngeren Deutschen die Augen öffnen. Danach fragten die Heranwachsenden ihre Eltern: 'Und was hast Du damals gemacht?' 


Nürnberg - Symbolort des NS-Staates


Katalog 1984

Die Alliierten hatten nicht ohne Grund Nürnberg für das internationale Tribunal gegen die NS-Täter gewählt. Neben seiner Rolle als Produktionsstandort der Kriegswirtschaft, war die Stadt ein Symbol für das 'Dritte Reich' - für die Nazis wie für die Alliierten. Hier hatte die NSDAP bereits 1927 und 1929 Reichsparteitage veranstaltet, nach 1933 wurde außerhalb des Zentrums ein monströses Aufmarschgelände in kurzer Zeit gebaut, an den Parteitagen nahmen bis zu eine halbe Million Menschen teil. Meine Mutter mokierte sich darüber: "Ja ja und heute ist keiner dabei gewesen". 

Nürnberg hatte für den NS-Staat hohen Symbolwert, fanden hier doch im Mittelalter die Reichstage statt, die Reichsinsignien wurden hier aufbewahrt. Im Jahr 1935 wurden auf dem Reichparteitag die sogenanten 'Nürnberger Gesetze' verkündet, die Ehen und Verbindugnen zwischen Juden und 'arischen' Deutschen untersagten und unter schwere Strafe stellten. Diese 'Rassegesetze' waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Aussonderung der JUden in Deutschland und damit zum späteren Holocaust. In Nürnberg hatte Hermann Göring diese Terrorgesetze verkündet - zehn Jahre später fand er sich im Saal 600 auf der Bank als Angeklagter wieder. 

...hier saßen die Täter....

Touristen kommen gerne...auch zum NS-Parteitagsgelände

 
Zwar war die Stadt bereits seit 1940 Ziel alliierter Bomber gewesen, die größten Zerstörungen richtete aber der Angriff am 2.Januar 1945 an. Binnen weniger Minuten wurde die gesamte Altstadt in Trümmer gelegt. Heute geben nur einige Gebäude noch einen Eindruck davon, wie Nürnberg vor 1945 ausgesehen hat. Sie wurden, wie etwa das Rathaus oder das Dürer-Haus nach dem Krieg wieder aufgebaut - für mich wirkten sie bei meinem Besuch wie Kulissen einer untergegangen Zeit. Sonst beherrschen die City in den Fußgängerzonen, wie in allen Städten, die klotzigen Konsumpaläste. 
Den Touristen scheint es jedenfalls zu gefallen, denn Bayerns zweitgrößte Stadt ist bei ihnen beliebt und sie strömen auch Sonntags durch die City. Viele haben auch das einstige Reichsparteitags-Gelände als besonderen 'thrill' auf der 'to do list'. Daher bieten die Stadtrundfahrten per Bus diese 'Sehenswürdigkeit' auf ihren Fahrzeugen als eines ihrer highlights an. 
 
Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in Nürnberg vor 35 Jahren. Damals standen wir auch vor dem berühmten 'Schönen Brunnen' am Markt und hörten die Geschichte von den 'Wunsch-Ringen' am Gitter. Es heißt: Wer sich ein Kind wünscht und am Ring dreht, dem geht das in Erfüllung. Mittlerweile werden die Ringe für jeden Wunsch genutzt - ob mit Erfolg ist fraglich. Erstmals taucht die Geschichte der Wunschringe jedenfalls im 17. Jahrhundert auf. Die heute am Gitter hängenden Exemplare wurden aber immer wieder - zu letzt im 20. Jahrhundert - erneuert.  
 
 
Auch das NS-Parteitagsgelände besuchte ich Mitte der 1980er Jahre, so die Tribüne am sogenannten 'Zeppelinfeld'. Jeder kennt die Bilder aus den NS- Propagandafilmen Leni Riefenstahls. Wie Hitler langsam die Stufen zum Rednerpodest heruntergeht, unter ihm die folgsamen Massen in Reih und Glied. Diesen Weg selber zu gehen war schon unheimlich - aber ich musste auch an den wunderbaren Film von Charlie Chaplin "Der große Diktator" denken. In einer Szene persifliert er das hohle Pathos der Hitlerschen Selbstinszenierung treffend. Ich erinnerte mich auch an das berühmte Foto und die Filmaufnahme von der Sprengung des riesigen Hakenkreuzes auf der Tribüne am 22.April 1945 - zwei Wochen vor der deutschen Kapitulation. 
Damals kaufte ich eine Broschüre, die sich kritisch mit dem Konzept Albert Speers für das NS-Gelände beschäftigte. Er hatte es von Anfang an auf schnellen Verfall angelegt, damit sollte Hitlers Deutschland dem tausendjährigen antiken Rom und Athen nahestehen - aber im Schnellverfahren. 
Erst 2001 wurde ein Dokumentationszentrum auf dem Gelände eröffnet, immerhin war das NS-Gelände bereits in den 1980er Jahren eine 'Pilgerstätte' für Neo-Nazis geworden. Nürnberg war damals auch wegen der berüchtigten 'Wehrsportgruppe Hoffmann' bekannt, die unweit in einem alten Schloss ihre Übungen abhielt. Im Jahr 1980 verübte ein Anhänger das Bombenattentat an der Münchner Oktoberfestwiese, das zwölf Menschen das Leben kostete - und bis heute nicht aufgeklärt wurde. Bezeichnend auch, dass Enver Şimşek am 9.September 2000 in Nürnberg das erste Opfer der NSU-Neonazis wurde. Nicht einmal ein Jahr später, am 13. Juni 2001 ermordeten sie dort Abdurrahim Özüdoğru und am 9.Juni 2005  İsmail Yaşar. Ob und welche Helfer die NSU-Mörder in Nürnberg hatten, ist bis heute ungeklärt.  
 
 

Brunnen und Plätze  

 
Ein besonderes faible hat man in Nürnberg anscheinend für 'schräge' Brunnen, etwa das 'Ehekarussell' am 'Weißen Turm'. Durch die Innenstadt fließt der Fluss Pegnitz, hier kann man einen Eindruck vom mittelalterlichen Nürnberg erhalten. Am Marktplatz findet sich die älteste Buchhandlung Deutschlands von 1531 - allerdings mit aktuellem Sortiment.





 
Wer das Museum zum Nürnberger Prozess sucht, muss mit der U-Bahn (Linie 1 bis 'Bärenschanze') Richtung Fürth fahren.
 
Quelle: Katalog "Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg", Kunstpädadgogisches Zentrum im  Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 1984 - heute noch erhältlich.

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