Montag, 13. Januar 2020

Hamburg 2019 - Meine Hamburgensien Teil 7: 'Sehenswürdig'



Umzingelt von Touristen setzte ich mich an den Landungsbrücken auf das Oberdeck der Fähre nach Finkenwerder. Es ist zwar kühl und windig, aber so kann ich das Elbpanorama genießen. Diese Verbindung ist bei Besuchern sehr beliebt, wer dagegen die Fähre benutzt, um zur Arbeit oder nach Hause zu kommen, ist oft genervt von den Touries. Die Fahrt ist billig - Nahverkehrstarif statt teure Hafenrundfahrt - und sie bietet das Elb-Ambiente von den Landungsbrücken, entlang der Werft von Blohm & Voss, am Fischmarkt, dem Fischereihafen vorbei bis nach Altona und Övelgönne und von dort zum Anleger Finkenwerder - und zurück. Zuerst konnte ich die Fähre nicht finden, denn sie sah eher wie ein schwimmender Poton mit Aufbauten aus und nicht wie ein Schiff. Zu meiner Jugendzeit fuhren hier grüne etwas plump wirkende Pötte der HADAG, ähnlich den behäbigen Koggen aus der Zeit Störtebekers. Nun ja, zum Glück erkannte ich kurz vor dem Ablegen, dass dieses Gefährt eine Fähre ist und stieg auf das offene Oberdeck. Und dann der Schock: Neben mich setzte sich eine Gruppe laut schwätzender Schwaben....

Während die Fähre elbabwärts brummte, bestaunten die Touristen die wenigen Containerschiffe, die entgegen kamen. Für mich nur noch eine traurige Erinnerung an den Hafen vor 40 Jahren. Da fuhren morgens noch Barkassen die Hafenarbeiter zu Blom & Voss oder Deutsche Werft. Frachter und Kümos (Küstenmotorschiffe) machten die Elbe belebt und ab und zu sah man einen Fischkutter - heute ist das alles Geschichte. Trotzdem gefiel mir die Fahrt, ich konnte in angemessener Geschwindigkeit meinen Gedanken und Erinnerungen nachhängen. Bald tauchten die Häuser an der Hafenstraße auf,  immer noch gut erkennbar an ihrer Bemalung, dahinter sah ich den Fischmarkt

Heute sieht das alles sehr aufgeräumt hier aus, der Hafendrand ist zum beliebten Wohnquartier besserer Stände geworden. Neben der Fahrrinne schwamm eine Boje, auf der ein Mann im weißen Hemd stand - eine Puppe, die in den Wellen hin und her dümpelte. Am Anleger in Övelgönne und im Museumshafen lagen alte Segler und Schlepper, sie kündeten von der großen Zeit des Hafens. Am Hang stehen immer noch die kleinen Häuser, die einst Kapitäne im Ruhestand bewohnten - diese Gegend war schon früher als Wohnort  begehrt.


Auf dem Rückweg stieg ich an der Haltestelle Fischmarkt aus, denn ich wollte hinauf zu den Häusern der Hafenstraße und zur Reeperbahn zu Fuß gehen. Jeden Sonntag früh am Morgen gaben sich am Fischmarkt Touristen, Nachtschwärmer und andere Besucher hier ein quirliges Stelldichein. Dabei konnte man auch direkt am Anleger von den Kuttern frischen Fisch kaufen. Bekannt wurde der Fischmarkt für seine Marktschreier - etwa 'Aale-Dieter',  der lautstark seine Ware ausrief, oder dem Konkurrenten, der stimmgewaltig seine Südfrüchte anbot. Damals war der Verkauf lebender Tiere erlaubt und so manch alkoholisierter Besucher des Nachtlebens
Museumshafen mit alten Schleppern
kaufte sich aus Daffke ein lebendes Huhn, das dann oft nach Ende des Marktes alleine und verloren herumlief. Am Wochende fanden Sonnabends auf dem Fischmarkt auch große Flohmärkte statt. Auch ich verkaufte hier einst mit Freunden allerlei Zeug. 


An diesem kühlen und wolkigen Nachmittag wirkte der leere Platz viel kleiner als in meiner Erinnerung. Die alten Häuser am Rand waren saniert worden, man hatte neue Wohnhäuser gebaut - es wirkte alles aufgeräumt und modern. Schräge Kneipen wie 'Erna Fick' - die Kaschemme hieß wirklich so - sind verschwunden. Aber es gibt noch einige Traditionslokale, in denen damals bei Akkordeonmusik die Besucher früh am Sonntag ein deftiges Frühstück mit Spiegelei und Bratkartoffeln samt Korn und Bier zu sich nahmen. Gegen Mittag verwandelten sich dann diese Etablissements flugs in gutbürgerliche Speiselokale, mit Kellnern im weißen Hemd, gestärkten Tischdecken und Tellern, Besteck und Stoffservietten. Ab 12 Uhr kamen die ersten Familien zum Mitagessen, gab es doch vor allem frischen Fang direkt vom Fischereihafen. Andere kauften ihn lieber direkt vom Fischer, der sie direkt an Bord für die Kunden ausnahm, was die kreischend umherfliegenden Möven freute. 


Mein Weg führt mich hinauf zu den Häusern an der Hafenstraße - sie haben Hamburg in den 1980er Jahren international 'berühmt' gemacht. Hausbesetzer hatten die leerstehenden und dem Verfall preisgegebenen Altbauten der städtischen Wohnbaugesellschaft SAGA damals besetzt und zum Zentrum der autonomen Szene der Stadt gemacht. Der Kampf um den Erhalt des Wohnprojektes ging mehrere Jahre und war Militant auf beiden Seiten: Demos, Straßenschlachten, Polizeieinsätze waren damals für Hamburg imageprägend. Erst später hatte der Hamburger SPD-Senat ein Einsehen und übergab die Häuser einer Stiftung, die sie bis heute vermietet. Die Häuser wirken heute befriedet, wie ein erloschener Vulkan, der aber jederzeit wieder ausbrechen kann - was die G 20 Protesten 2017 zeigten.



Spekulanten haben mittlerweile den Wert der Immobilien mit Hafenblick und den Kiez um die Reeperbahn entdeckt. Seit Jahren läuft auch hier die Gentrifizierung: Ärmere Bewohner werden verdrängt, ihre Häuser abgerissen oder modernisiert, neue Nobelwohnungen werden gebaut und von wohlhabenden Investoren als 'Betongold' gekauft. Die Reeperbahn heute ist mit der meiner Jugendzeit nur noch schwer vergleichbar. Mein Weg führte mich von den Häusern am Hafenrand in Richtung Hans-Albers-Platz. In einer Straße erwartete mich ein Straßenschild der besonderen Art. 

Manche Leute schwärmen ja von der Reeperbahn, für mich war der Kiez in meiner Jugend nicht besonders anziehend. Mitte der 1970er Jahre ging ich mit einem Freund zum Hans-Albers-Platz, denn hier gab es einen ziemlich bizarren unterirdischen Flohmarkt. In den Katakomben gab es so ziemlich alles, was einst Seeleute von ihren Reisen mitgebracht hatten. Vom Schrumpfkopf bis zur
Bücher im HVV Bus 115
Schiffslaterne und verrosteten Macheten. Der vierschrötige Besitzer passte zu seinen schrägen Exponaten. Wir gingen die Reeperbahn hinunter und kamen am Eroscenter - einem Großpuff - vorbei. Vor dem Zugang zum Kontakthof stand eine Gruppe 'Mutties' mit Hut. Worauf warteten sie? Ein Mann - Typ Kleinstadtspießer - kam heraus und wurde von ihnen umringt und ausgefragt. Frauen durften den Kontakthof nicht betreten, das wäre ihnen auch schlecht bekommen. Deshalb hatte eine Reisegruppe aus der Provinz ihre Männer reingeschickt - natürlich nur zum schauen! Jetzt wollten sie genau hören, was er da so gesehen hatte - wir schüttelten nur den Kopf. Die berühmte Herbertstrasse, in der Prostituierte sich in Schaufenstern anboten, waren und sind für Frauen tabu. Ich bin einmal im Leben in der Gasse gewesen, wir hatten damals Besuch aus England und die Lady wollte unbedingt dort mit uns durchlaufen. Damals hatte ich keine Ahnung, dass das für Frauen gefährlich werden konnte und wir liefen zu Dritt durch die nur ein paar hundert Meter lange Straße. Mir war das alles so peinlich, dass ich weder nach links noch rechts schaute, keine der 'Damen' gesehen habe und einfach nur froh war, wieder herrauszukommen - unsere Freundin freute sich wie Bolle. Der einzige Ort, den ich schon als Kind mochte, war das Wachsfiguren-Kabinett in der Reeperbahn - das hatte mein Vater manchmal mit uns besucht - und der Western-Shop, in dem man alles kaufen konnte, was das Cowboy-Herz begehrte.


'Rote Flora' im Schanzenviertel
Tagsüber war und ist der Kiez eine ziemlich elende Gegend, dabei ist die große Zeit vorbei. Großbordelle wurden geschlossen, die kurzen Liegezeiten der Schiffe im Hafen führten dazu, dass sich Prostitution an den Hafenrand verlagerte. Zunehmend bestimmen Billig-Hotelketten für Touristen das Bild, aber wie gesagt, der Kiez war nie so mein 'Revier' - nur das Stadion des FC.St. Pauli war und ist für mich immer noch ein Anziehungspunkt. Den Kiez hinter mich lassend, wollte ich sehen, was aus dem Schanzenviertel geworden war und ging in Richtung Neuer Pferdermarkt. In den Medien ist das Viertel durch die Auseinandersetzungen beim G-20 Gipfel international bekannt geworden. Unvergessen der geteilte Bildschirm eines Kommerzsenders - links das Konzert aus der Elphi für Trump und die anderen 'Herrscher der Welt', rechts Straßenschlacht und Wasserwefer fürs unbotmäßige 'Volk'. Aber auch hier hat die Gentrifizierung mittlerweile ihre Spuren hinterlassen, ähnlich wie in Berlin-Kreuzberg oder der Kölner Südstadt ist es chic geworden, in solchen Vierteln zu wohnen. Beim Hamburger Schanzenviertel freut dies die Regierenden. schon in den 1980 Jahren kursierte in der Landespolitik der Wunsch sogenannte 'innenstadtuntypische Bewohner' aus dem Schanzenviertel zu verdrängen. So ganz ist das nie gelungen, aber die soziale Entwicklung - vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer - zeigt auch hier Wirkung. Nobelläden und gehobene Gastronomie haben die Gegend verändert - es gibt allerdings auch Widerstand dagegen, der allerdings auch zu Diskussionen darüber geführt hat. 

Hier war einst im 1. Stock die GAL-Geschäftsstelle
Ich erinnere mich noch an die Hochzeiten der Hafenstraße, in der Schanze befand sich damals das Büro der Grün-Alternativen-Liste GAL - von den heutigen Grünen Galaxien entfernt. Als 1987 die Räumung der Häuser der Hafenstraße akut drohte, die Polizei hatte 5000 Beamte aus dem Bundesgebiet samt Wasserwerfern und Panzerfahrzeugen am Messegelände zusammengezogen, organisierte die linke Szene 24stündige Alarmketten. So verbrachten wir einige Nächte im GAL-Büro, um beim 'Ernstfall' reagieren zu können. Stündlich tauchte in der Straße eine vollbesetzte 'Wanne' (Polizeibus) auf, wir pinnten an die Fenster im ersten Stock in großen Buchstaben unseren 'Gruß' an die Beamten. Glücklicherweise besann sich der Senat eines Besseren, es hätte sonst wochenlange Auseinandersetzungen in der gesamten Stadt gegeben. Wir hatten die illegale Inhaftierung unter offenem Himmel, den sogenannten 'Hamburger Kessel' 1986 nicht vergessen. Damals war nach der Anti-AKW-Demo in Brokdorf einen Tag später eine Protestkundgebung am Heiliggeistfeld stundenlang eingekesselt worden - daraufhin, hatte es eine mit rund 50 000 Teilnehmern starke Demonstration in der Innenstadt gegeben. 

Meine Sightseeing-Tour führte mich am Schanzen-Buchladen und dem Alternativzentrum 'Rote Flora' vorbei - den Laden kannte ich noch als 'Tausend-Töpfe' Markt. Im türkische Imbiss Pamukkale in der Susannenstrasse hing ich beim Adana-Kebab den Gedanken an die alten Zeiten nach. Meine kulinarische Reise durch die Schanze beendete ich am frühen Abend bei Matjes und Bratkartoffeln im 'Frank und Frei' an der Schanzenstraße. Hier konnte ich noch zu Preisen essen,
die in Stuttgart kaum vorstellbar sind - Danke Schanze. Alles ändert sich, aber manches bleibt und das ließ mich enstpannt den Bus 115 Richtung Hallerstraße besteigen. Ich setzte mich auf die Bank hinter dem Fahrer und bemerkte ein Regal mit Büchern - die man mitnehmen, oder auch eigene dort lassen konnte - eine schöne Idee....  

....und am Abend ging ich dann, der Einladung eines Freundes folgend, in ein besonderes 'Etablissement' in der Brüderstraße am Großneumarkt. Dort gibt es den Friseursalon 'Kamm In', der Musikern die Möglichkeit bietet, sich regelmäßig zu 'jamsessions' dort zu treffen. * Man meldet sich vorher an und kann dann mit anderen 30 Minuten im Keller des Salons auf einer kleinen Bühne spielen - manchmal kommen Zuschauer, manchmal sind nur die anderen Musiker da - aber alle waren gut gelaunt und hatten gemeinsam Spaß. 

Als ich den Laden betrat, fühlte ich mich in eine der Alternativ-Kneipen der 1970er Jahre versetzt. Ein Sammelsurium, das teilweise wie Sperrmüll wirkte, schmückte die Räume und dann gab es da wirklich zwei Spiegel mit uralten Trockenhauben, an denen der Chef noch selber die Kunden bediente. Am Eingang konnte man sich an der Theke mit Getränken versorgen, um dann in den Musikkeller hinabzusteigen. Der Modergeruch hier erinnerte mich an die Übungsräume, in denen ich einst mein Schlagzeug bespielt hatte. Meine Mutter meinte immer, wenn ich nach Hause kam, ich würde wie Drakula aus der Gruft riechen. 

Nach ein paar Bierchen, Musik und Klönschnack kam ich auf dem Rückweg am legendären Hamburger Cotton Club vorbei, der viele Jazz-Größen gesehen hat. Mein Heimweg führte mich an der hell beleuchteten Musikhalle vorbei - und sofort kamen mir Erinnerungen an Rock-Konzerte mit Jethro-Tull, Hardin & York, Alan Stivell, Caravan und anderen in den Sinn. Die Diskrepanz zwischen dem Barockstil des Saales und den Rockbands, wie vor allem der wunderbare Sound des großen Saals, machte die Musikhalle zu meinem Lieblingssaal für Konzerte. Hier hatte ich auch als Schüler Anfang der 1970er erstmals ein klassisches Konzert mit großem Orchester gesehen - es gab Smetanas Moldau. Nachdenklich und etwas melancholisch begab ich mich in der Dunkelheit heimwärts.....


* https://www.kamm-in-online.de/
 

2 Kommentare:

  1. In einem der kleinen Övelgönner Häuser wohnte vor Urzeiten mein Onkel Heini, ein alter Schipper, er muss ein Großonkel gewesen sein. Ich erinnere mich an seine Gartenzwerge in dem winzigen Vorgarten, und in der düsteren Diele stand (daher der Name) eine Standuhr, die mir irgendwie unheimlich war. Der Heini hatte mal einen Freund, der, wie man so sagt, "auf See geblieben war". Nach dem wurde mir mein Vorname verpasst.

    Den Flohmarkt auf dem Fischmarktgelände habe ich damals auch reichlich frequentiert. Ein Überbleibsel davon ist das Poster von Kraftwerks "Autobahn"-Tour 1975. Das Konzert fiel mangels Kartenvorverkauf damals aus, das Poster hängt heute gerahmt in unserem Wohnzimmer.

    Und ja, der Cotton Club. Wenn dort am Donnerstag die Travellin' Jazzmen aufspielten, waren wir (meine Wenigkeit und zwei Freunde) meist da. Wir gehörten irgendwann zum Inventar und mussten keinen Eintritt mehr bezahlen. Gelegentlich haben wir auch mal an der Kasse ausgeholfen. Eigentlich war das ja eine ganz normale Oldtime-Jazz-Band, aber deren Boss, Kornettist Günter Heide, im Brotberuf Büchermappenbote, experimentierte gern mal, und so erinnere ich, dass sie zeitweilig einen E-Bassisten aus Brasilien dabei hatten, und auch einen ausgewachsenen Rockschlagzeuger. Eine sehr merkwürdige Mischung. Aber im Cotton-Club ging das. Günter hatte irgendwann sogar mal die Idee, dass wir einen ihrer Auftritte in der Övelgönner Seglerbörse (da spielten sie immer Mittwochs) mit meiner Lightshow-Gruppe ins passende Licht setzen sollten. Der Wirt hat das dann allerdings nicht zugelassen. Schade drum - Oldtime-Jazz mit psychedelischen Projektionen und farbigem Lichtgeflimmer. Da wäre die ehrwürdige Joshua Lightshow aus San Francisco bestimmt blass vor Neid geworden.

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  2. Danke, so fügt sich ein Bild ins andere.....

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