Samstag, 21. September 2019

Hamburg 2019 - Meine Hamburgensien Teil 5: Von der 'Uni-Klause' zur Universität


1968 war ich 14 Jahre alt - die Studentenbewegung und die Außerparlamentarische Opposition (APO) fanden in der "Tagesschau" statt. Dabei lag die Hamburger Universität nur zehn Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt. Wir Jugendliche diskutierten über die 'richtige' Musik. Die einen waren für deutsche Schlager, die anderen für harten Rock. Ich hörte regelmäßig NDR2 "Musik nach der Schule" und den britischen Soldatensender BFBS, denn hier wurde meine Musik gespielt. Manchmal schalteten wir auch das Programm des 'Deutschen Freiheitssenders 904' und des "Deutschen Soldatensenders 935" ein. Diese beiden DDR-Programme brachten 'Underground Bands' wie "The Nice" und auch Stücke von DDR-Musikern wie der 'Klaus Renft Combo' wurden gespielt. Dazwischen gab es dann verschlüsselte Meldungen für die 'Genossen' im Westen wie: "Auf der Mauer blüht eine Akazie" und ähnlich Gehaltvolles. Abends verfolgte ich mit meiner Mutter die  Fernsehnachrichten mit Filmen über den Vietnamkonflikt und den 'Sechstagekrieg' der Israelis gegen die Araber. Mich beschäftigte damals allerdings mehr meine bevorstehende Konfirmation - einmal wöchentlich musste ich dazu den langweiligen Religionsunterricht ertragen.

Wir waren eine Gruppe junger Außenseiter, die sogenannte 'progressive' oder 'underground' Musik hörten. Sie zeigte eine neue Welt und einige von uns besorgten sich Musikinstrumente. Jeden Freitag fuhren wir hinaus nach Tonndorf und improvisierten dort stundenlang in einem Keller - ich saß am Schlagzeug. Alle waren Autodidakten, keiner besaß eine musikalische Vorbildung - learning by doing lautete die Devise. Wir orientierten uns an Musikern wie Jimi Hendrix, Johnny Winter, Steamhammer, Allman-Brothers, Rory Gallagher, Hardin & York oder Frank Zappa. Als Inspiration dienten uns Musikfilme im Kino, wie der Dokumentarfilm "Monterey Pop". Bei diesem US-Festival in Kalifornien fackelte 1967 Jimi Hendrix während des Auftritts seine Gitarre ab - im Publikum saß, die entgeistert auf die Bühne blickende, 'Mama Cass' von den 'Mamas und Papas'.

Abaton-Kino heute
Zum Schlüsselerlebnis wurden für uns Filme wie "Easy Rider" und "Woodstock", die Anfang der 70er Jahre in unsere Kinos kamen. Diese Mischung aus Musik, Protest und Aufbegehren gegen das "Establishment" gab uns das Signal: Es musste mehr geben, als ein Leben zwischen Bausparvertrag und Neckermann-Urlaub. Begeistert verfolgten wir auf der Leinwand die Auftritte von Carlos Santana und Joe Cocker, Ten Years After und Jimi Hendrix. Wie er auf der Bühne die US-Nationalhymne  "the star spangled banner" musikalisch 'abschlachtete' war grandios. Damals befand sich der Vietnam-Krieg in seinem brutalen Endstadium. Ich erinnere mich heute noch an den Film "Winter Soldiers" von 1972, der im ARD-Fernsehen gezeigt wurde. Hier schilderten ehemalige US-Soldaten die von ihnen miterlebten Gräuel an der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Diese Mischung aus Musik und Aufbegehren gegen Konventionen politisierte und radikalisierte uns - step by step.


Einstmals die 'Uni-Klause'
Aus meinem Buchregal
Wir verbrachten unsere meisten Abende in der "Uni Klause" am Grindelberg. Im Hinterraum spielten wir Billard und Kicker, während in der Juke-Box andauernd Hits wie 'I`ve never promised you a rosegarden' liefen. Das Ehepaar, das die Kneipe führte, betrachtet uns immer wieder misstrauisch - aber wir machten Umsatz. Wir wirkten mit unseren langen Haaren damals für viele Leute wie der personifizierte Bügerschreck, dabei waren wir ziemlich brav und friedfertig. Einmal beschimpfte mich einer in der U-Bahn: "Dich haben sie vergessen zu vergasen" so war das in den 70ies....



Abaton-Eingang heute
Schräg gegenüber unserer Stammkneipe hatte Anfang der 70er Jahre das "Abaton-Kino" eröffnet. In diesem sogenannten Programmkino liefen Filme außerhalb des Mainstreams. In einem angeschlossenen kleinen Plattenladen gab es US-Comic-Hefte wie "Faboulous Furry Freak-Brothers", "Fritz the Cat", oder Cartoons gegen den US-Krieg in Vietnam - und die aus heutiger Sicht ganz schön sexistischen Comics von Robert Crumb. Ach ja Sex, im Abaton gab es damals monatlich an  einem Freitag-Abend in der Spätvorstellung "Erotik im Untergrund".  Hier wurden schräge Sex-Filme und Porno-Streifen gezeigt - jedesmal gab es lange Schlangen vor dem Kino - immer waren die Vorstellungen ausverkauft, es kamen zumeist Männer...



Audimax heute
Zunehmend besuchten wir auch die elegant geschwungene Halle des Auditorium Maximum - Audimax. Hier traten Bands wie "Uriah Heep" oder "Ton-Steine-Scherben" auf. Wöchentlich liefen außerdem beim 'Uni-Film' Kinostreifen wie "Das Wiegenlied vom Totschlag"  aber auch der "Tanz der Vampire" oder Filme mit Stan Laurel und Oliver Hardy oder Buster Keaton wurden gezeigt. Dazu kamen etwa 1000 Zuschauer, die die Filme  auf der großen Leinwand manchmal lautstark kommentierten - so herrschte hier oft Party-Stimmung. Nach dem Verlassen des Audimax sahen wir an den Wänden die in der Dunkelheit geklebten neuesten Plakate und Demoaufrufe der diversen Polit-Gruppen.

Heine blieb
Mitte der 70er eröffneten verschiedene linke Gruppen Buchläden in Nähe der Universität. So hatte der "KBW - Kommunistische Bund Westdeutschland" am Hallerplatz seinen Laden. Wenige hundert Meter entfernt hatte die Konkurrenz des "KB - Kommunistischer Bund" am Grindelhof das "Arbeiterbuch". Auch in der Grindelallee wurden zwei Läden der "Heinrich-Heine Buchhandlung" und ein weiterer um die Ecke in der Schlüterstraße eröffnet. Übrig geblieben davon ist nur die Heine-Buchhandlung in der Grindelallee.


Talmud Tora Schule
Jahrelang kam ich auf dem Weg zu unserer Kneipe an einem neoklassizistischen Gebäude vorbei, es beherrbergte die Fachhochschule für Bibliothekswesen. Erst später erfuhr ist, dass hier einst die jüdische Talmud-Tora-Schule ihren Sitz gehabt hatte. Nichts erinnerte in den 70er Jahren daran auch nicht, dass daneben einst eine Synagoge gestanden hatte - sie war 1938 in der 'Reichspogromnacht' zerstört worden. In dieser Gegend lebten damals viele Juden, mein Vater hatte 1932 in der Straße "Rutschbahn" bei einer Familie sein Studentenzimmer gehabt. Er erzählte mir einmal von seinen Erlebnissen mit SA-Schlägertrupps, die damals auf Linke Jagd machten.


HWP heute
Als ich 1980 mein Studium der Sozial- und Politikwissenschaften an "Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP)" begann, war die Hochzeit der Studentenbewegung bereits vorbei. Hausbesetzungen, der Deutsche Herbst (RAF) sowie die aufkommende Anti-AKW- und Alternativbewegung prägten die politische Szenerie. Unsere Hochschule unterschied sich von der klassischen Universität, denn hier konnte man auch ohne Abitur studieren. Dazu musste man eine Aufnahmeprüfung bestehen, die Hochschule galt als Kaderschmiede der Gewerkschaften. Viele Studenten waren zuvor berufstätig gewesen und brachten als Betriebsräte und Vertrauenleute ihre Erfahrungen mit. Der Altersdurchschnitt war deutlich höher, als an der Universität und damit war die Debattenkultur in der HWP viel spannender. Dozenten wie Theorien wurden mit den Erfahrungen der Studenten konfrontiert.

HWP-Lichthof heute
Für mich war die Zeit an der HWP politisch prägend, mehr als das spätere Studium der Soziologie an der Universität Hamburg. Kein Wunder also, dass mich mein Besuch zurück zur HWP führte. Die großen politischen Konflikte - Stichworte Brokdorf und Hafenstraße - spiegelten sich damals auf den großen Wandzeitungen im Lichthof der Hochschule wieder. Dort wurde leidenschaftlich über aktuelle Themen kontrovers und polemisch debattiert. Alles bezog sich aber weniger auf den Hochschulbetrieb, zunehmend kamen Themen der Alternativbewegung in die Hoschschule. Gegen den Willen der etablierten Politgruppen der HWP (MSB, SHB, Jusos) wurde in der semesterfreien Zeit "Sommerhochschulen" organisert. Dabei ging es etwa um Rüstungskonversion in den Werftbetrieben und Ökologie.



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Bei meinem Besuch wirkte der Campus der Universität  ziemlich aufgeräumt und friedlich. Es ist schick und damit teuer geworden, hier zu wohnen. So mancher Spekulant träumt wohl immer noch davon, dass die Universität verlegt wird und die Grundstücke frei werden - solche Ideen gab es mal. Die Gentrifizierung - also die soziale 'Aufwertung' der Gegend ist deutlich sichtbar. Wo in der Schlüterstrasse einst das Pädagogik-Kinderbuch seinen Laden hatte, verkauft heute ein Geschäft Anlagen zur Einbruchssicherung und Überwachungstechnik.

Einst hieß es: "Ich war hier - Godot!"
Keine leckeren Studenten in Sicht....

 
  

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