Dienstag, 26. August 2014

Le Cateau 1914: Der Krieg kommt zu meiner Großmutter

Flüchtlinge Nordfrankreich 1914, Bundesarchiv, Bild 183-R05939

Wappen St.Benin
Am Morgen des 26. August 1914 erwachten auf den Hügeln westlich des nordfranzösischen Städtchens Le Cateau die Soldaten des II.Korps der britischen Expeditionsstreitmacht (BEF). Sie hatten gerade acht Tage zuvor in Boulogne französischen Boden betreten. Mit drei Infanteriendivisionen und einer Kavalleriedivision waren sie am 25. August beim belgischen Mons von den Deutschen geschlagen worden. Die Briten zogen sich südwestlich auf das 45 Kilometer entfernte Le Cateau zurück. 

 

 

Für die damals

Flore 1920er
14-Jährige Flore Fernande Gaspard, - meine spätere Großmutter - wurde dieser Mittwoch der wohl erschreckenste Tag in ihrem Leben. Geboren im Jahr 1900 in der nordfranzösischen Kleinstadt Le Cateau, war sie im Juni 1914 mit ihren Eltern und dem Bruder in das nur wenige Kilometer entfernte Dorf St. Benin gezogen. Dort hatte der Vater, der Facharbeiter Paul Gaspard, für seine Frau Marie Hanappe und die Kinder ein kleines Haus erworben. Mitte August 1914 hatten sie die langen Flüchtlingstrecks gesehen, mit denen die französische- und belgische Zivilbevölkerung versuchte, der deutschen Invasion und dem Krieg zu entkommen. Jetzt wurde Flores Dorf am Nachmitag des 26. August 1914 zum Kriegsschauplatz. Damals lebten in St.Benin etwa 770 Einwohner, während der deutschen Besetzung 1914-1918 wurden viele über die Schweiz in das nichtbesetzte Frankreich deportiert - so wollten die Besatzer 'unnütze Esser' loswerden. Darunter befand sich auch Flore......

 

 

Dorfkirche von St.Benin
Das an einem Hang, 142 Meter über dem Meeresspiegel gelegene St.Benin, wurde erstmals urkundlich im Jahr 1030 erwähnt. Benannt ist es nach dem katholischen Heiligen Beningus von Dijon, der den Märtyrertod in Burgund erlitt. Im Jahr 1914 lebten in dem Dorf rund 800 Menschen. Ein Teil von ihnen waren Bauern oder Landarbeiter. Viele verdienten ihr Geld auch in den Wassermühlen  "Chamberlin" und 'Milon-Duval', die entlang des unterhalb des Dorfes verlaufenden Flüsschens Selle lagen. Viele Dorfbewohner arbeiteten im nahe gelegenen Le Cateau, in der Keramik-Fabrik 'Felix Simon' oder der Fabrik für Badenwannen 'Dupont'. Das Zentrum des Dorfes prägen heute wie damals die kleine Volksschule und die Kirche, die im Ersten Weltkrieg allerdings schwer beschädigt worden war. 

Weitere Infos und alte Fotos unter: 

http://perdrelenord.free.fr/aufildeleau/saintbenin/



Am Morgen des 26. August 1914, einem Mittwoch, lag in den Tälern um Le Cateau noch Nebel, aber es würde wieder ein sehr heißer Tag werden. Das zur 1. Armee (General von Kluck) gehörende III.Armeekorps (General von Lochow) hatte in Nacht gegenüber den britischen Truppen Stellung bezogen - 3 Infanterie- und 3 Kavalleriedivisionen - etwa 55 000 Mann. Der britische General Smith-Dorien, hatte seine rund 40 000 Soldaten - 3 Infanterie- und eine Kavalleriedivision entlang der alten Römerstraße, zwischen Le Cateau und dem 24 Kilometer entfernten Cambrai aufgestellt. Ziel war, die Deutschen aufzuhalten, damit sich das britische Expeditionskorps und die französischen Truppen geordnet weiter zurückziehen konnten. Le Cateau bildete dabei den Eckpfeiler des rechten britischen Flügels. Von hier aus verlief in nordwestlicher Richtung die 16 Kilometer lange Frontlinie. Kaum war die Sonne aufgegangen, begann gegen 6 Uhr das deutsche Artilleriefeuer und bald darauf griff die Infanterie an. Die britischen Geschützbatterien versuchten sie aufzuhalten, aber es gelang der deutschen 14. Infanteriebrigade Le Cateau nach erbittertem Straßenkampf zu erobern.    

Die schweren Kämpfe hielten den ganzen Tag an, am frühen Abend erreichten sie auch St.Benin. Gegen 19 Uhr begann die brandenburgische 5. Division unter General Wichura von Le Cateau aus ein Umgehungsmanöver. Dazu marschierte sie in Richtung Süden zwischen der Bahnlinie, die Brüssel mit Paris verband und dem Flüsschen Selle, um so die britische rechte Flanke
Bahnviadukt in drei Kriegen zerstört

zu umgehen. Damit geriet auch das Dorf und die verängstigten Einwohner in Gefahr. Die Dorfbewohner, unter ihnen die damals 14-Jährige Flore mit ihren Eltern, suchten Schutz in den Kellern ihrer Häuser

Während meine Großmutter uns in den 1970er Jahren ihre Erlebnisse schilderte, saßen wir in der Küche des kleinen Häuschen, in dem sie seit 1914 gewohnt hatte. Der 'Schutzkeller' war eigentlich nur eine kleine, unter dem Haus gegrabene Höhle. Auch noch 70 Jahre danach spürten wir bei Flore den großen Schrecken, dem sie

Das Tal der Selle mit Bahnviadukt 1980er Jahre
als junges Mädchen ausgesetzt war. Nach dem sich die britischen Truppen am Abend in südwestlicher Richtung zurückgezogen hatten, lagen in den Feldern die Toten und Verwundeten der Schlacht, verendetes Vieh und zerstörte Ausrüstung. Die Briten verloren bei Le Cateau 7812 Tote und Verwundete, heute geht man von etwa 3000 Toten und Verwundeten auf deutscher Seite aus . 


Danach wurde die Gegend um Le Cateau für über vier Jahre deutsche Etappe, es gab hier ein großes Lazarett. Ende Oktober 1918 kam der Krieg abermals zurück in die Region. Er brachte der französischen Zivilbevölkerung zwar das Ende des Besatzungsregimes, aber die Befreiung am 17.Oktober 1918 musste Le Cateau mit schweren Zerstörungen durch britisches und deutsches Artilleriefeuer bezahlen. 

Oft besuchten wir meine Großmutter in ihrem kleinen Haus und für meine Schwester und mich war der staubige Dachboden immer eine Fundgrube.
Das Häuschen meiner Oma heute
Einmal fanden wird dort alte Uniformknöpfe mit bayerischem Wappen - sie hatten späteren Besatzungssodaten gehört. Vom Garten des Hauses konnte man, etwa 1500 Metern Luftlinie entfernt, auf einem Höhenzug einen britischen Soldatenfriedhof erkennen. Überall in der Region um Le Cateau finden sich die, immer noch schön gepflegten Gräberfelder mit den Reihen weißer Grabsteine. 



Vor einigen Jahren verbrachten meine Freundin und ich unseren Urlaub in Irland. Dabei kamen wir auch in das zu Großbritannien gehörende nordirische Städtchen Enniskillen. Wir besuchten in der Burg das Kriegsmuseum und ich war nicht schlecht erstaunt, als ich in einer Vitrine den Namen Le Cateau las. Das 2. Bataillon der Royal Inniskilling Fusiliers hatte im August 1914 hier gekämpft. 

Lesetipp:
"The long silence", ein Buch über das Schicksal der französischen Zivilbevölkerung während der deutschen Besatzung Nordfrankreichs 1914-1918. Die Autorin Helen McPhail hat dazu Berichte von Augenzeugen ausgewertet. Bezeichnenderweise gibt es bisher keinen deutschen Verlag für das Buch. Klar wird durch die Lektüre, den deutschen Herrenmensch gab es nicht erst im Zweiten Weltkrieg, sondern Vorläufer bereits während der Besatzungszeit 1914-1918.  
Helen McPhail: The long silence, 1999, Taschenbuchausgabe 2001 Tauri-Verlag ISBN 978 1 78453 035 2 

https://medienfresser.blogspot.de/2016/08/erster-weltkrieg-leben-unter-deutscher_16.html 

Auf Youtube kann man die spannende Dokumentation von Olivier Sarrazin aus dem Jahr 2014 sehen. Hier wird auf die Besatzungseit eingegangen: "Der ferne nahe Krieg" 

https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/le-cateau

 

Mittwoch, 13. August 2014

Meine Beatlemania anno 1964


 Erster Teil: www.medienfresser.blogspot.de


Der erste Film der 'Beatles' kam 1964 in die britischen Kinos. Unsere ganze Familie sah dann die deutsche Version im Hamburger Urania-Kino in der Fehlandstraße - es schloss 1980 seine Pforten...  Meine fünf Jahre ältere Schwester war voller "Beatlemania", sie spielte den ganzen Tag lang die Singles der "Fab Four". Jede neue Scheibe wurde sofort in den batteriebetriebenen Philips-Plattenspieler geschoben und tönte dann, dauernd wiederholt, durch die Wohnung. Mit gerade einmal elf Jahren
1963 vor dem Dammtor
verstand ich mit meinem bisschen Schulenglisch die Texte natürlich nicht. Die Melodien aber 'frästen' sich damals in mein Gedächtnis. Nach ein paar Takten kann ich immer noch fast jeden Song synchron mitsingen - glücklicherweise lautlos! 


Besonders lustig sind die Szenen mit den kreischenden Teeagern im Konzertsaal. Viele sind heute betagte Seniorinnen - aber keine dürfte dieses Erlebnis vergessen haben. Der Ausnahmezustand in Hamburg kam am 26. Juni 1966: Die Beatles gaben ein Konzert. Meine sechzehnjährige Schwester hatte eine Eintrittskarte für die Ernst-Merck-Halle ergattert - Veranstalter war die Jugendzeitschrift "BRAVO". Mein Vater und ich brachten sie bis zu den weiteräumigen Absperrungen beim Dammtorbahnhof. Weiter kam man nur mit einem Ticket, überall liefen junge Leute aufgeregt herum und die Polizisten waren ziemlich hektisch. Filmaufnahmen des Auftritts zeigen die Band auf der Bühne, die Musik geht völlig im Gekreisch der Fans unter. 

Jede Urlaubsreise mit unserem VW-Käfer war damals ein Musik-Event. Im vollgepackten Kleinwagen ging es im Sommer Richtung Fehmarn oder nach Dänemark. Wir Kinder saßen hinten im Auto,
Flo und Ich - Paris 1963-65
meine Schwester eingezwängt zwischen ihren Plastik-Alben voller Vinyl-Singles. Die ganze Fahrt über beschallte unser 'Disk-Jockey' die Familie - aber allen gefiel die Musik der Pilzköpfe. Meine Mutter fand die Jungs nett und gepflegt - ganz anders als die rüpeligen 'Rolling Stones'. Auch an den Frisuren hatte sie nichts auszusetzen - als Französin war sie eben nicht durch die 'Nazi-Kultur' geprägt worden. Und unser Vater war vor der NS-Zeit schon Filmfan gewesen, hatte damals Sergei Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" gesehen und war immer noch begeistert davon.


Jedes mal, wenn ich heute einen Beatles-Song aus den 60ies höre, kommen in mir Bilder und Erinnerungen hoch - 
 
Danke Beatles und Danke Bayerischer Rundfunk!